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Mehr als Ja und Amen - Doch wir koennen die Welt verbessern

Mehr als Ja und Amen - Doch wir koennen die Welt verbessern

Titel: Mehr als Ja und Amen - Doch wir koennen die Welt verbessern
Autoren: Margot Kaessmann
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einer „Karnevalisierung“ der deutschen Gesellschaft sprechen Soziologen inzwischen. Und viele Medien machen fröhlich mit, statt für Rückgrat und Gewissen Sorge zu tragen. Nicht zu unterhalten, sondern zu mahnen, nicht zu verdummen, sondern aufzurütteln.
    Ich denke aber auch an Initiativen wie die in Lüchow-Dannenberg gegen Atomkraft – sicher aus der eigenen Betroffenheit geboren, aber am Ende eine der treibenden Kräfte für den Atomausstieg. In diesem Zusammenhang entstanden zudem Ferienaktionen, in denen Familien Kinder aus der Region Tschernobyl aufnahmen. Mehrmals habe ich als Landesbischöfin die Kinder, die mit dem ersten Flug kamen, begrüßt. Eine große ehrenamtliche Initiative, die viel Kraft gekostet hat und in die Familien in Niedersachsen viel investiert haben. Engagement aber auch des Flughafens von Hannover bis hin zur Polizei, die direkt an die Maschine kam, um die etwas verängstigten Kinder freundlich mit Passkontrolle einreisen zu lassen. Und ein enormes Vertrauen der Eltern, die ihre Kinder ins fremde Deutschland schickten. Wenn ich auch beim Abschied dabei sein konnte, erlebte ich, was vier Wochen bewirken können: Glückliche Kinder, die gesunde Luft und gesundes Essen, viel Liebe und Betreuung erfahren hatten. Tränen des Abschieds gab es und zwischen vielen Familien sind Freundschaftsbande gewachsen. Hier haben Menschen hingeschaut und mit wenigen Mitteln Großes geleistet.
    Gleichzeitig gab und gibt es auch großes Versagen. Die Mehrheit der Christinnen und Christen hat in der Zeit des Nationalsozialismus weggeschaut. Gewiss, Einzelne haben Widerstand geleistet gegen die menschenverachtende Ideologie des Staates, in kleinen und großen Schritten. Ihr Gedächtnis ist zu bewahren, denn sie sind Vorbilder 7 , die uns heute ermutigen, unter Umständen, in denen noch nicht einmal „Leib und Leben“ gefährdet sind, für Frieden und Menschenwürde einzutreten. Sicher spielt bei der Frage, ob Kirche politisch sein darf, immer auch mit, dass sie auf fatale Weise politisch war, als etwa Reichsbischof Ludwig Müller mit der Macht paktierte. Eine Konstellation, die wir mancherorts auch heute auf der Welt sehen können. Und es spielt die sogenannte „Zwei-Regimenter-Lehre“ beziehungsweise „Zwei-Reiche-Lehre“ mit, ein Begriff, mit dem die Theologie des 20. Jahrhunderts versuchte, Luthers Überlegungen zur Obrigkeit zusammenzufassen. Die lange theologische Debatte lässt sich – natürlich extrem verkürzt – so zusammenfassen: Im Reich Gottes leben Menschen im Glauben gerechtfertigt. Im Reich der Welt gibt es Sünde und Schwert und Gewalt und Obrigkeit, der ein Christ sich freiwillig unterwerfen sollte. Die Debatte verdeutlicht die Spannung zwischen Aufbegehren und Unterordnung, der Klärung von kirchlichem und weltlichem Bereich, die viele Menschen des Glaubens erleben. In der Folge hat das immer wieder zu der Frage geführt, ob christlicher Widerstand gegen Unrecht legitim ist im Sinne von „Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen“ (Apg 5,29) oder ob Unterordnung unter staatliche Gewalt die angemessene christliche Haltung ist gemäß der Anweisung des Apostels Paulus: „Jedermann sei untertan der Obrigkeit, die Gewalt über ihn hat. Denn es ist keine Obrigkeit außer von Gott; wo aber Obrigkeit ist, die ist von Gott angeordnet“ (Röm 13,1).
    Wie ordnet sich ein Christ, eine Christin ein zwischen Respekt vor „der Obrigkeit“ und der Freiheit des Glaubens, die das persönliche Gewissen prägt? In allen gesellschaftlichen Bereichen, Parteien, Gewerkschaften, Wirtschaft, Kultur gibt es ja Menschen des Glaubens, die unseren Respekt verdienen. Ich habe das spannungsvoll erlebt, als ich im Jahr 2002 zum Weltwirtschaftsforum (WEF) eingeladen war, das in jenem Jahr nicht in Davos, sondern in New York tagte, um nach den Attentaten vom 11. September 2001 Solidarität mit dieser Stadt, ja, mit den gesamten Vereinigten Staaten zu zeigen. Es war gut gemeint, vierzig „religious leaders“ einzuladen, um auch religiöse Fragen in die Gespräche einzubeziehen. Letzten Endes ging es jedoch ausschließlich um wirtschaftliche Beziehungen, um Geld, Umsatzsteigerung und Börsennotierung. Den Beteiligten will ich nicht absprechen, dass sie praktizierende Christen, Muslime oder Juden sind! Aber das Forum drehte sich letzten Endes um seine eigene Welt, in deren Fokus nicht der Mensch, nicht Solidarität oder die Sorge um die Hungernden in der Welt stehen, sondern allein Gewinn. Eine Welt,
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