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Mehr als Ja und Amen - Doch wir koennen die Welt verbessern

Mehr als Ja und Amen - Doch wir koennen die Welt verbessern

Titel: Mehr als Ja und Amen - Doch wir koennen die Welt verbessern
Autoren: Margot Kaessmann
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Die Wahlbeteiligung geht stetig zurück, ebenso die Mitgliedschaft in Parteien, Gewerkschaften und Kirchen. Das ist letzten Endes ein Verlust für die demokratische Gesellschaft. Zum Tod der Psychoanalytikerin Margarete Mitscherlich hieß es im „Tagesspiegel“, die Ära der charismatischen Psychoanalytiker sei vorbei, denn es existiere „momentan keine emanzipatorische soziale Bewegung, die für eine psychoanalytisch angeleitete Selbstreflexion offen wäre“ 3 . Mitscherlich wird aus einem ihrer letzten Interviews zitiert: „Es ist in diesem neuen Kapitalismus keine neue Idee drin, scheint mir. Auch nicht auf europäischer Ebene. Wir brauchen dringend eine vereinende Vision, die Veränderungen zulassen würde, nicht nur eine Diskussion über den Euro.“ 4 Mitscherlich hat recht!
    Gutmensch oder reflektierender Bürger?
    Angesichts der beschriebenen Situation gewinnen offenbar die Zyniker die Oberhand. In jener Sendung bei Anne Will hieß es auch, die Probleme seien doch einfach viel zu komplex, als dass die normalen Bürger sie durchschauen könnten. Das empfinde ich als arrogant. Und als eklatant undemokratisch. Wer noch etwas verändern will, wird heute gern und schnell als „Gutmensch“ belächelt. In einem Leserbrief zu einem Beitrag im Monatsmagazin „Chrismon“ schrieb mir Herr D.: „Ich habe Ihren Artikel (…) gelesen und meine, dass Sie als Gutmensch argumentieren und schreiben. Gutmenschen sind in meinem Verständnis diejenigen, die mit dem Geld anderer Menschen Gutes tun, indem sie es (das Geld) für die oder das verwenden (wollen oder tun), die sie – die Gutmenschen – für bedürftig oder wichtig erachten.“ Gar keine schlechte Definition eigentlich, wenn sie nur nicht diese herablassende Haltung beschreiben würde, mit der einige meinen zu wissen, was für andere gut ist.
    Es geht nicht um Besserwisserei oder gar moralische Zeigefinger, die so schnell und gern unterstellt werden. Ich verstehe das Evangelium nicht als Instrument der Moralisierung, sondern als großen Erfahrungsschatz und als offen für Prozesse, in denen wir in aller Freiheit fragen können und um Antworten ringen; es geht um Schuld und Vergebung, Streit und Versöhnung, Beharren und Irren. In meinem Leben habe ich oft genug erlebt, dass sich meine eigene Haltung verändern kann, denn durch das Gespräch mit anderen und durch Reflexion der überlieferten und der eigenen Erfahrung entstehen neue Sichtweisen. Hehre Positionen und in Marmor gemeißelte Werte sind nicht dynamisch genug, um den Herausforderungen des Lebens zu begegnen.
    Sehr deutlich wurde mir das erneut bei einem Seminar, das ich im Rahmen meiner Max-Imdahl-Gastprofessur an der Universität Bochum zum Thema „Gewissen schärfen“ angeboten habe. Wir haben für jede Sitzung ein sozialethisches Thema vorbereitet und versucht, die gegensätzlichen Positionen zu argumentieren. Den Studierenden wurde bewusst: Bei vielen Fragen gibt es kein einfaches Ja oder Nein beziehungsweise kein Ja und Amen, sondern sie müssen bewegt, bedacht werden, es geht um individuelle Wahrnehmung und notwendiges Recht, das für alle gilt. Eine offene Diskussion ist notwendig, um eine eigene Position zu finden. Das braucht Interesse, Zeit, Bildung und eine Debattenkultur. Christinnen und Christen können unterschiedlicher Meinung sein, das hält unsere Kirche aus! Aber sie können nicht einfach Ja und Amen sagen, das ist zu wenig. Da mutet uns das Evangelium mehr zu.
    Gewissen bestimmt Handeln
    Wir brauchen Alternativen und ermutigende Beispiele! Menschen brauchen wir, die aufstehen, statt sich wegzuducken. Die noch etwas von Zukunftshoffnung wissen, statt in Resignation zu versinken. Der Rückzug allzu vieler aus dem politischen Feld gibt dieses frei für das Unwesen anderer. Als Beispiel: In einem Artikel schildert der SPIEGEL 5 , wie ganze Landstriche in Sachsen von Neonazis terrorisiert werden. Selbst die Polizei scheint zu resigniert, um noch entschlossen einzugreifen. „Nur noch wenige Menschen wagen es, sich den Neonazis entgegenzustemmen“ 6 , schreibt der Verfasser des Artikels. Es kann doch nicht wahr sein, dass 67 Jahre nach dem Ende der Herrschaft des Nationalsozialismus mit seiner menschenverachtenden Ideologie, die erst die Juden, dann ganz Europa und am Ende Deutschland selbst zerstört hat, hier kein Widerstand geleistet wird! Fast scheint es, dass eine ganze Ablenkungsmaschinerie von Medien und Konsum alles tut, um Menschen vom Denken und Handeln abzuhalten. Von
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