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Mehr als ein Sommer

Mehr als ein Sommer

Titel: Mehr als ein Sommer
Autoren: Ann Eriksson
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aus einem Zylinder gezogen oder eine Münze weggezaubert und sie hinter seinem linken Ohr wieder zum Vorschein kommen lassen. »Wie konnten Sie...?«
    »Nichts Übersinnliches. Ich fliege mit der gleichen Maschine«, sagte sie beruhigend. »Da brauchen Sie sich aber nicht zu beeilen. Der Flug ist verspätet.«
    »Verspätet?«, wiederholte er, als habe er Mühe sie zu verstehen.
    »Mindestens vier Stunden«, antwortete sie und sprach jedes einzelne Wort ganz besonders deutlich und auch lauter aus für den Fall, dass sein Gehör bei dem Sturz Schaden genommen hatte. »Wegen eines Sandsturms.« Sie überlegte einen Moment, was die Frau am Schalter beim Einchecken gesagt hatte, und fügte dann, weil sie sich nicht ganz sicher war, hinzu: »Oder war es wegen eines Kamels auf der Landebahn in Kairo?«
    Mit großen Augen sah er sie an, und dabei lag das Ticket so in seiner Hand, dass es ihm jeden Moment auf den Boden fallen würde, wenn er sich nicht bald darum kümmerte. Sie zog es ihm aus den Fingern und steckte es zurück in seine Jackentasche. »Ich bin nicht sicher, dass es Ihnen so gut geht, wie Sie selbst vielleicht glauben«, meinte sie. »Kommen Sie, setzen Sie sich. Ich muss mich bei Ihnen entschuldigen.« Sie rollte sein Gepäck hinüber zu der Bank, auf der sie über die Frauen gelesen hatte, die im Geschäftsleben Durchsetzungsvermögen bewiesen.
    Er hinkte ihr hinterher und klopfte beim Laufen seinen Anzug ab. Sie fand, dass er größer wirkte als Gregory, aber nicht so groß wie Donald Junior, der einen Meter achtzig maß und sie so weit überragte, dass es schwierig war ihn zu umarmen. Der Mann war auch schmaler gebaut als Donald Junior. Der Gedanke an ihre Söhne, inzwischen beide erwachsene Männer, die selbst Kinder hatten, beschwor Erinnerungen an das Haus in Winnipeg herauf und dann an den Vater der beiden. Doch an den wollte sie im Moment nun wirklich nicht denken. »Kann ich Ihnen etwas zu trinken besorgen?«
    »Nein, bitte nicht«, sagte er. »Ich muss einchecken. Vielleicht gibt es einen früheren Flug.«
    »Danach habe ich gefragt, den gibt es nicht«, versicherte sie ihm. »Bitte.« Sie rutschte auf der Bank ein wenig zur Seite und klopfte mit der Hand auf den Platz neben sich. »Setzen Sie sich einen Moment und lassen Sie mich meine Unachtsamkeit wiedergutmachen.«
    Sein Gesicht nahm einen Ausdruck an, als gebe er sich geschlagen, und zu ihrem Erstaunen ließ er sich neben sie auf die Bank fallen. »Wiedergutmachung? Wofür?«, fragte er und beugte sich vor, um sich das Schienbein zu reiben.
    »Dafür, dass Sie gestürzt sind«, erklärte sie ihm. »Sie sind über meine Tasche gestolpert.«
    Er lehnte sich zurück und seufzte. »Ich habe nicht aufgepasst, wohin ich trat.«
    »Das war offensichtlich«, meinte sie. »Nur sind die Jungs häufiger im Weg, als mir lieb ist.«
    »Die Jungs?« Er sah sich um. »Reisen Sie mit Kindern?«
    Constance versuchte sich zu fangen. Sie hatte zu viel gesagt. Iris hatte sie gewarnt, nur ja nicht jedem dahergelaufenen Fremden von den Jungs zu erzählen. »Du könntest Schwierigkeiten bekommen«, hatte ihre Freundin gesagt. Bisher war es ihr gelungen, sie als ihr Geheimnis zu bewahren, aber manchmal wünschte sie sich, ihr Abenteuer mit irgendjemandem teilen zu können. »Ich habe mich noch nicht einmal vorgestellt.« Sie streckte ihm ihre Hand entgegen. »Constance Ebenezer.«
    Als er ihre Hand ergriff, fiel ihr auf, dass sich seine Haut glatt und weich anfühlte wie die eines jungen Mädchens. » Trevor«, erwiderte der Mann. » Trevor Wallace.«

    Trevor blickte hinab auf die Hand, die in seiner lag, auf das Spinnennetz aus Falten und auf den deutlich sichtbaren Verlauf tiefblauer Adern unter der Haut, die so dünn war wie eine Gardine aus feinstem Musselin. Er hatte noch niemals eine Hand gehalten, die so alt war, nicht einmal die seiner Tante Gladys in den Jahren, bevor sie gestorben war — sie hätte seine Hände sicher auch eher gefesselt, als sie in ihren zu halten. Er hatte sich immer vorgestellt, dass alte Haut kalt sei, als fehle ihr die Lebenskraft, die ausschließlich die Jugend besaß, und dass sie sich rau und klamm anfühlen würde. Die Wärme und die Kraft des Händedrucks der Frau überraschten ihn. Vielleicht hatte seine Großmutter ihn mit Händen gehalten, die so alt gewesen waren, als er ein Baby war. Doch sie war gestorben, bevor er sein zweites Lebensjahr erreicht hatte, sodass er das nie erfahren würde. Er zog seine Hand weg und stand
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