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Mehr als ein Sommer

Mehr als ein Sommer

Titel: Mehr als ein Sommer
Autoren: Ann Eriksson
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sich in seinem Magen zu einem festen Knoten formte. Er versuchte auf Gedeih und Verderb, fremden Menschen aus dem Weg zu gehen. Fremde waren zu anstrengend.
    »Ich werde mich da drüben hinsetzen«, erklärte er und wies mit dem Kopf in Richtung der nächsten Bankreihe, »und ein wenig Papierkram erledigen, wenn es Ihnen nichts ausmacht.« Er wollte die neuen Firmenkataloge durchsehen und sich die technischen Daten der John-Deere-2640-Serie einprägen, obwohl er nicht genau wusste, ob das sinnvoll war. Sein Boss, Andy, machte ihm Druck, ihre älteren Lagerbestände loszuwerden. »Heb auch den Preis ein bisschen an«, hatte Andy vorgeschlagen, obwohl Trevor dagegengehalten hatte, dass die neuen Modelle leistungsfähiger waren. »Die merken den Unterschied nicht.«
    »Was machen Sie beruflich, mein lieber Junge? Sind Sie im diplomatischen Dienst?«
    »Nein.«
    »Journalist?«
    »Nein, ich bin Vertreter«, antwortete er in scharfem Ton. »Und ich habe zu arbeiten.« Trevor erhob sich, aber bevor er auch nur einen Schritt tun konnte, zog ihn die Frau an seinem Ärmel wieder nach unten.
    »Sie können sich nach einem solchen Sturz wahrscheinlich gar nicht konzentrieren«, protestierte sie. »Es tut mir leid, ich hätte umsichtiger mit den Jungs sein müssen.«
    Den Jungs? Was sollte das denn bloß bedeuten? Als er gegen die Tasche getreten war, die ihn auf den Boden des Frankfurter Flughafens hatte fliegen lassen, hatte er nur ein dumpfes Geräusch vernommen. Kein Quietschen, kein Quieken. Und es hatte sich hart angefühlt. Nicht weich oder fleischig. Die Tasche enthielt sicher mehr als Strickzeug. Er zeigte mit dem Finger darauf und fragte lauter und wütender, als er beabsichtigt hatte: »Was zur Hölle ist da drin?«
    Der Ausdruck auf ihrem Gesicht veränderte sich so schnell wie der Himmel über Calgary — Erstaunen, Furcht, Misstrauen — , jedes Gefühl wie eine flüchtige Welle, die über ihr faltiges Gesicht hinwegspülte. Sie zog sich die Tasche auf den Schoß und sah ihn mit gerunzelter Stirn an, dabei wurden ihre Augen ganz schmal. Ihre Augenbrauen waren mit einem Stift aufgemalt.
    »Sie arbeiten bestimmt nicht für die Zollbehörde?«
    »Nein, nein. Ich bin von Calgary über Toronto hergeflogen.« Beschwichtigend hob er die Hände. »Traktoren. Ich verkaufe Traktoren.«
    Die Falten auf ihrer Stirn glätteten sich. »Nun, das ist schön.« Sie hielt den Griff ihrer Tasche nicht mehr ganz so fest. »Nützliche Maschinen, solche Traktoren. Iris war überzeugt, dass ich wegen der Jungs in Schwierigkeiten geraten würde und hat mir dringend geraten, sie nur ja nicht jedem dahergelaufenen Fremden vorzustellen. Aber Sie sind natürlich kein Fremder mehr.« Sie schenkte ihm ein süßes Lächeln. »Sie sind Kanadier, und ich weiß, wie Sie heißen.«
    Unvermittelt glitt sie mit der Hand in die offene Segeltuchtasche. Was war da drin? Drogen? Trevor widerstand dem inneren Drang, ihr über die Schulter zu blicken, und beobachtete mit einem Gefühl nagender Ungewissheit, wie sie eine übergroße weiße Vitamindose aus Plastik hervorzog — Vitamin C, 500 mg, keine Konservierungsstoffe, ohne künstliche Farbstoffe. Trevor hatte vom gleichen Hersteller eine kleinere Dose in seiner Wohnung in Calgary. Auf den Deckel war mit roter Farbe Thomas geschrieben worden. Sie stellte den Behälter auf den Sitz zwischen ihnen, und ohne ein Wort zu sagen, holte sie einen weiteren aus der Tasche und stellte ihn neben die Vitamindose. Chipmunk Erdnussbutter. Gewerbliche Größe. Knusprig. Gesalzen. Ganz natürlich. Hier war das Wort Donald in Schwarz auf den Deckel geschrieben worden. Zuletzt stellte sie eine große Dose Backpulver neben die anderen Behälter auf die Bank, eine sonnengelb und braun bedruckte Plastikdose, die größte von den dreien, die in säuberlichen grünen Blockbuchstaben auf dem Deckel mit Martin gekennzeichnet war. Dann lehnte sie sich zurück. Statt eine Fanfare ertönen zu lassen, machte sie über die drei Behälter hinweg eine entsprechende Bewegung mit der Hand und verkündete: » Trevor Wallace. Die Jungs.«
    Trevor zuckte verwirrt mit den Achseln. »Ich... ich verstehe nicht. Was ist das?«
    In den Augen der alten Frau glühte etwas, das er nur als Stolz deuten konnte. »Meine Ehemänner sind das. Meine drei Ehemänner.«

3

    Constance wusste, dass sie zu weit gegangen war; der arme Mann sah wieder aus wie Gregory, wenn er als Kind verwirrt und verängstigt gewesen und jede Farbe aus seinem Gesicht gewichen
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