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Meerhexe

Meerhexe

Titel: Meerhexe
Autoren: Irma Krauss
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rückgängig machen und sich nun für Ken entscheiden? Will sie vielleicht meinen Vater und mich sitzen lassen für einen Typ, der zehn Jahre jünger ist als sie und noch nicht mal zu Ende studiert hat?
    Als ich gerade so im Ausrechnen und Vergleichen von Lebensaltern bin, fällt mir auch noch auf, dass zwei Leute gleich alt sind: Kenneth Smith und Ulrich Falkenhauser. Das entsetzt mich total. Denn es geht doch nicht, dass Mutter und Tochter Männer im selben Alter lieben!

    Eine Woche frei an Allerheiligen. Endlich kann ich wenigstens mal wieder ausschlafen. Die Schlafstunden sind meine beste Zeit. In den Wachstunden muss ich was für die Schule tun. Während ich büffle, horche ich mit einem Ohr, ob meine Mutter etwa wieder anfängt, Schubert zu spielen. Aber nein, sie arbeitet unermüdlich an ihren Beethoven-Sonaten. Wenn sie Klavierabende gibt, spielt sie ja auswendig.
    Die Konzentration auf die unzähligen Noten muss der reine Wahnsinn sein. Entsprechend erschöpft kommt sie dann aus dem Wohnzimmer und freut sich, dass mein Vater ihr die ganze Hausarbeit und vor allem das Kochen abgenommen hat. Sie ist richtig nett zu ihm und zu mir auch. Und zwar nicht auf die gleichgültige, geistesabwesende Art wie vor der Sonnenfinsternis.
    Also, entweder sie verstellt sich perfekt oder ich sehe wieder mal Gespenster. Alte vom Sommer noch dazu. Wenn ich meine Mutter doch einfach fragen könnte! Aber das Thema Ken ist seit der Sonnenfinsternis ein solcher Schocker, dass mir vorher die Zunge abfallen würde.
    Auch mit Oma kann ich nicht darüber reden, obwohl ich endlich mal wieder einen ganzen Nachmittag bei ihr verbringe. Wir sitzen gemütlich beim Tee, und die Zeit vergeht sehr schnell, weil ich so viel von den Musical-Proben und von meinem Gesangsunterricht zu erzählen habe. Oma interessiert sich auch für meine Atemübungen und macht sie mit, ohne daran zu ersticken wie Britta, die schon vom Zuschauen hysterisch wurde.
    Als ich mich gerade von Oma verabschiede, kommt Onkel Bangemann. Er sieht mich, dreht eine Runde um mich und schnalzt mit der Zunge.
    Irgendwo hab ich das schon mal erlebt - wo nur?
    »Sieh an, sieh an«, sagt Onkel Bangemann. »Was aus den Mädels wird, wenn man sie länger nicht gesehen hat...«
    »Lässt du das wohl bleiben, Walter!«, rügt Oma. Zu mir sagt sie: »Du bist eben gewachsen, Madeleine. Das sollte so ein alter Dummkopf eigentlich wissen. Kschsch, ab!«, macht sie und schiebt Onkel Bangemann vom Flur ins Wohnzimmer.
    Er protestiert. »Man wird doch noch ein hübsches junges Mädchen anschauen dürfen...«
    Es hilft ihm nichts, Oma zieht die Tür zu. Wir können Onkel Bangemann drin kichern hören. Er ist definitiv der erste Mensch, der mich als hübsch bezeichnet hat. Das werde ich ihm nie vergessen. Obwohl es geschmeichelt ist, denn mein Spiegel zeigt mir noch immer ein viel zu dickes Mädchen. Daran ändert auch der BH nichts.
    »Onkel Bangemann ist ein Spaßvogel, das weißt du doch, oder?«, sagt Oma mit leiser Besorgnis.
    »Natürlich.« Ich gebe ihr einen Abschiedskuss. »Er würde keinem Mädchen was antun, wenn es das ist, was dich beunruhigt.«
    »Ja«, sagt Oma erleichtert. »Aber«, ruft sie mir hinterher, »sei dir da bei anderen nicht so sicher, hörst du?«
    »Alles klar.« Ich werde mich wohl noch vor alten Lustmolchen zu hüten wissen.

Von einer tollen Aufführung und von schockierten Zeugen

    Der Tag der Generalprobe ist gekommen. Es ist der Donnerstag vor dem ersten Advent. Wir spielen heute für die Unterstufe, die deswegen nach der Pause freihat. Wir hören sie aufgeregt im Saal herumlaufen und reden, während Ulrich uns hinter dem Vorhang letzte Anweisungen gibt.
    Alles ist anders geworden, seit die Bühne zum Meer wurde und wir unsere Kostüme haben. Die Theater-AG hat uns kräftig dabei geholfen. Das Meer besteht aus einer riesengroßen blauen Folie. Es steigt an, weil im hinteren Bereich über die ganze Bühnenbreite eine Tischreihe unter der blauen Folie aufgebaut wurde. Das ist notwendig, damit man die Inline-Skates an unseren Füßen nicht sieht, auf denen wir Wassergeschöpfe hinter der Tischreihe dahingleiten. Dazu rudern wir mit den Armen, als würden wir schwimmen.
    Die ganze rückwärtige Bühnenwand ist bemalt. Links sieht man das herrliche Schloss, in dem der Meerkönig mit seinen Töchtern und der Großmutter lebt. Wellen gehen darüber hin und bunte Fische scheinen zu den Fenstern raus- und reinzuschwimmen.
    Ab der Wandmitte verliert das Wasser seine
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