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Medicus 02 - Der Schamane

Titel: Medicus 02 - Der Schamane
Autoren: Noah Gordon
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werden, Robert«, sagte sie.
    Sie machte sich fertig, um die leeren Teller und Platten zur Kirche zu bringen, wo sie die Besucher, die Essen mitgebracht hatten, abholen wollten, und er bot ihr an, das für sie zu erledigen. Aber sie erwiderte, sie wolle Reverend Blackmer besuchen. »Komm doch mit!« sagte sie, er jedoch schüttelte den Kopf, denn er wusste, dass er dann einen Sermon mit Argumenten über sich ergehen lassen musste, warum man sich den Empfang des Heiligen Geistes nicht vorenthalten dürfe. Die Buchstabengläubigkeit seiner Mutter, was Himmel und Hölle betraf, erstaunte ihn immer wieder. Ihre Streitgespräche mit seinem Vater fielen ihm ein, und er wusste, dass sie jetzt eine ganz besondere Pein zu durchleiden hatte, denn es war schon immer eine qualvolle Vorstellung für sie gewesen, dass ihr Gatte, der die Taufe verweigert hatte, im Paradies nicht auf sie warten werde. Sie hob die Hand und zeigte zum offenen Fenster. »Da kommt jemand geritten.« Sie lauschte eine Weile und sagte dann bitter lächelnd: »Eine Frau hat Alden gefragt, ob der Doktor daheim ist. Ihr Mann liegt verletzt zu Hause. Alden hat ihr gesagt, dass der Doktor gestorben ist. >Der junge Doktor?< fragte sie. Und Alden sagte: >Nein, der nicht, der ist da.<«
    Auch Shaman fand das lustig, und sie war bereits zur Tür gegangen, wo Rob J.s Arzttasche an ihrem gewohnten Platz stand. Die gab sie jetzt ihrem Sohn. »Nimm den Wagen, er ist bereits angespannt! Ich fahr’ dann später zur Kirche.«
    Die Frau war Liddy Geacher. Sie und ihr Mann Henry hatten während Shamans Abwesenheit den Hof der Buchanans gekauft. Shaman kannte den Weg gut, es waren nur wenige Meilen. Geacher war vom Heuboden gefallen. Er lag noch genau dort, wo er aufgeschlagen war, sein Atem ging flach und mühsam. Er stöhnte, als sie versuchten, ihn auszuziehen, und Shaman schnitt deshalb die Kleidung auf, achtete aber darauf, nur die Nähte aufzutrennen, damit Mrs. Geacher sie später wieder zusammennähen konnte. Blut war keins zu sehen, nur schwere Quetschungen, und der linke Knöchel war geschwollen. Shaman nahm das Stethoskop aus der Tasche seines Vaters. »Kommen Sie bitte her! Ich will, dass Sie mir sagen, was Sie hören«, sagte er zu der Frau und steckte ihr die Elfenbeinknöpfe ins Ohr. Sie riss die Augen auf, als er die Membran auf die Brust ihres Mannes drückte. Er ließ sie lange horchen, wobei er die Membranglocke mit der Linken hielt und mit den Fingerspitzen der Rechten dem Mann den Puls fühlte. »Bumm-bumm-bumm-bumm-bumm!« flüsterte sie. Shaman lächelte. Henry Geachers Puls ging schnell, doch das war auch nicht verwunderlich. »Was hören Sie sonst noch? Lassen Sie sich Zeit!«
    Sie horchte lange.
    »Kein leises Knistern, als würde jemand trockenes Stroh zerdrücken?« Sie schüttelte den Kopf. »Bumm-bummbumm.« Gut. Dann hatte keine gebrochene Rippe einen Lungenflügel durchstoßen. Er nahm der Frau das Stethoskop wieder ab und tastete Geachers Körper Zoll für Zoll mit den Händen ab. Da er nichts hörte, musste er seine anderen Sinne sorgfältiger und aufmerksamer benutzen als andere Ärzte. Als er die Hände des Mannes hielt, nickte er zufrieden über das, was die Colesche Gabe ihm sagte. Geacher hatte Glück gehabt, ein Heuhaufen hatte seinen Sturz gedämpft. Er hatte sich die Rippen geprellt, aber Anzeichen für einen Bruch waren nirgends zu entdecken. Shaman vermutete, dass die fünfte und die achte Rippe angeknackst waren - und vielleicht auch die neunte. Als er Geacher den Brustkorb bandagierte, konnte der Farmer leichter atmen. Shaman schiente den Knöchel und holte dann eine Flasche mit dem Schmerzmittel seines Vaters aus der Tasche, vorwiegend Alkohol mit etwas Morphium und einigen Kräutern.
    Einen Dollar für den Hausbesuch, fünfzig Cent für die Verbände, fünfzig Cent für das Medikament. Aber die Arbeit war noch nicht beendet. Die nächsten Nachbarn der Geachers waren die Reismans, ihr Hof lag zehn Reitminuten entfernt. Shaman fuhr hin und redete mit Tod Reisman und seinem Sohn Dave, die versprachen, auszuhelfen und dafür zu sorgen, dass auf der Geacher-Farm eine Woche lang alles weiterlief. Shaman ließ sich auf dem Nachhauseweg Zeit und genoss den Frühling. Die schwarze Erde war zum Pflügen noch zu nass. Morgens hatte er gesehen, dass auf den Weiden bereits die ersten Blumen blühten, Veilchen und orange leuchtende Gelbwurz und rosafarbener Präriephlox, in wenigen Wochen würden größere Blüten die Ebenen mit ihrer
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