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Medicus 02 - Der Schamane

Titel: Medicus 02 - Der Schamane
Autoren: Noah Gordon
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einem anderen Pensionsgast, Stanley Finch, der bei einem Hutmacher in der Summer Street arbeitete. Von Finch erfuhr er zwei äußerst wichtige Dinge: Für vierundzwanzig Cent konnte man sich von Lern Raskin, dem Hausdiener, Wasser erhitzen und in eine winzige Wanne gießen lassen; und in Boston gab es drei Krankenhäuser: das Massachusetts General, das Lying-In und das Eye and Ear Infirmary, die Augen- und Ohrenklinik. Nach dem Frühstück lag er selig in der Wanne und fing erst an, sich abzuschrubben, als das Wasser kalt wurde. Anschließend gab er sich alle Mühe, seine Kleidung so präsentabel wie möglich zu machen. Beim Hinuntergehen sah er das Dienstmädchen, das auf den Knien die Treppe wischte. Ihre nackten Arme waren sommersprossig, und ihr rundlicher Hintern wackelte im Takt der heftigen Schrubbewegungen. Ein mürrisches, altjüngferliches Gesicht sah zu ihm hoch, als er vorbeiging, und er bemerkte, dass die roten Haare, die unter ihrer Haube hervorlugten, die Tönung hatten, die ihm am wenigsten gefiel, nämlich die nasser Karotten. Im Massachusetts General wartete er den halben Vormittag, bis er von einem Dr. Walter Channing empfangen wurde, der ihm ohne Umschweife sagte, dass die Klinik keine zusätzlichen Ärzte brauche. In den beiden anderen Krankenhäusern machte er sehr schnell die gleiche Erfahrung. Im Lying-In schüttelte ein junger Arzt namens David Humphreys Storer mitfühlend den Kopf. »Die Harvard Medical School entlässt jedes Jahr junge Ärzte, die um eine Anstellung Schlange stehen, Dr. Cole. Ehrlich gesagt, ein Fremder hat da wenig Aussicht.« Rob J. wusste, was Dr. Storer nicht gesagt hatte: Einige der ansässigen Jungmediziner profitierten vom Ruf ihrer Familie und von deren Beziehungen, so wie es für ihn in Edinburgh von Vorteil gewesen war, zur bekannten Medizinerdynastie der Coles zu gehören. »Ich würde es in einer anderen Stadt versuchen, vielleicht in Providence oder New Haven«, sagte Dr. Storer, und Rob J. murmelte seinen Dank und verließ ihn. Doch einen Augenblick später kam ihm Dr. Storer nachgelaufen. »Es gibt da noch eine entfernte Möglichkeit«, sagte er. »Sie müssen mit Dr. Walter Aldrich sprechen.« Der Arzt hatte seine Praxis zu Hause, in einem gepflegten weißgestrichenen Holzhaus an der Südseite einer großen Grünfläche, die The Common hieß. Es war gerade Sprechstunde, und Rob J. musste lange warten. Dr. Aldrich erwies sich als stattlicher Mann mit einem grauen Vollbart, der freilich den wie eine Schnittwunde wirkenden Mund nicht verbergen konnte. Er hörte zu, während Rob J. erzählte, und unterbrach ihn hin und wieder mit einer Frage. »Am Universitätskrankenhaus von Edinburgh? Unter dem Chirurgen William Fergusson? Warum haben Sie denn eine solche Assistentenstelle aufgegeben?«
    »Man hätte mich nach Australien deportiert, wenn ich nicht geflohen wäre.« Rob J. wusste, dass seine einzige Hoffnung in der Wahrheit lag. »Ich habe ein Pamphlet verfasst, das zu einem Arbeiteraufstand gegen die englische Krone führte, die Schottland seit Jahren ausbluten lässt. Es kam zu Straßenschlachten, Menschen wurden getötet.«
    »Eine offene Antwort«, sagte Dr. Aldrich und nickte. »Ein Mann muss für das Wohlergehen seines Landes kämpfen. Mein Vater und mein Großvater haben gegen die Engländer gekämpft.« Er betrachtete Rob J. mit abwägendem Blick. »Es gibt da eine Möglichkeit. Bei einer wohltätigen Einrichtung, die Ärzte zu den Bedürftigen der Stadt schickt.«
    Es klang nach schmutziger Arbeit ohne Zukunftsaussichten. Dr. Aldrich sagte, die meisten Gemeindeärzte erhielten fünfzig Dollar pro Jahr und seien froh um die Erfahrung, doch Rob fragte sich, was ein Arzt aus Edinburgh in einem provinziellen Elendsviertel Neues über Medizin lernen könne.
    »Wenn Sie Mitglied der Boston Dispensary werden, kann ich Ihnen eine Assistentenstelle für die Abendvorlesungen im anatomischen Institut der Tremont Medical School beschaffen. Das bringt Ihnen zusätzlich zweihundertfünfzig Dollar pro Jahr.«
    »Ich glaube nicht, dass ich mit dreihundert Dollar existieren kann, Sir. Ich habe praktisch keine eigenen Mittel.« »Etwas anderes habe ich nicht anzubieten. Genaugenommen beläuft sich das Jahreseinkommen auf dreihundertfünfzig Dollar. Die freie Stelle ist im achten Distrikt, und für den hat der Beirat des Dispensary vor kurzem eine Erhöhung des Gemeindearztgehalts auf hundert Dollar beschlossen.«
    »Warum bekommt man im achten Distrikt doppelt so viel
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