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Medicus 02 - Der Schamane

Titel: Medicus 02 - Der Schamane
Autoren: Noah Gordon
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Tiger.«
    »Und Rachel?«
    »Sie hat letzten Juni ihren Mann, Joe Regensberg, verloren. Er ist am Typhus gestorben - wie dein Vater.« »Ach«, sagte er mit belegter Stimme. »Ich habe gehört, dass letzten Sommer in Chicago der Typhus grassiert hat. Geht es ihr gut?«
    »O ja. Rachel geht es sehr gut - und ihren Kindern auch. Sie hat einen Sohn und eine Tochter.« Lillian zögerte. »Sie hat sich mit einem anderen Mann angefreundet, einem Cousin von Joe. Nach ihrem Trauerjahr wird die Verlobung offiziell bekanntgegeben.«
    So? Verwunderlich, dass ihn das immer noch berührte, dass es ihn so tief traf. »Und wie fühlt man sich so als Großmutter?«
    »Sehr gut«, erwiderte sie, verließ ihn dann und begann eine leise Unterhaltung mit Mrs. Pratt, deren Land an das der Geigers angrenzte.
    Gegen Abend lud Shaman Essen auf einen Teller und brachte ihn zu Alden Kimballs stickiger kleiner Hütte, die immer nach Holzrauch roch. Der Knecht saß in der Unterwäsche auf seiner Koje und trank aus einem Krug. Seine Füße waren sauber, er hatte extra für den Trauergottesdienst gebadet. Die zweite Garnitur wollener Unterwäsche, die eher grau war als weiß, hing zum Trocknen auf einer quer durch die Hütte gespannten Leine. Shaman schüttelte den Kopf, als Alden ihm den Krug anbot. Er setzte sich auf den einzigen Holzstuhl und sah Alden beim Essen zu. »Wenn’s nach mir gegangen war’, hätt’ ich Pa auf unserem Land am Flussufer beerdigt.« Alden schüttelte den Kopf. »Das hätte sie nie zugelassen. War’ doch viel zu nah am Grab dieser Indianerin gewesen. Bevor die... getötet wurde«, sagte er vorsichtig, »haben die Leute über die beiden geredet. Deine Ma war furchtbar eifersüchtig.«
    Shaman hätte gern Genaueres über Makwa, seine Mutter und seinen Vater erfahren, aber es erschien ihm nicht recht, mit Alden über seine Eltern zu reden. So winkte er nur zum Abschied und verließ die Hütte. Es dämmerte, als er zum Fluss hinunterging, zu den Ruinen von Makwa-ikwas hedonoso-te. Das eine Ende des Langhauses war noch intakt, doch das andere war eingestürzt, die Stämme und Zweige verrottet - ein Paradies für Schlangen und Nagetiere. »Ich bin wieder da«, sagte er.
    Er konnte Makwas Anwesenheit spüren. Sie war schon lange tot, und er fühlte noch immer ein Bedauern, das freilich angesichts der Trauer über seinen Vater verblasste. Er suchte Trost, doch alles, was er spürte, war Makwas entsetzlicher Zorn, den er so deutlich wahrnahm, dass sich ihm die Nackenhaare sträubten. Nicht weit von der Ruine entfernt war ihr Grab, ohne Stein, doch sorgfältig gepflegt, das Gras geschnitten, der Rand bepflanzt mit wilden gelben Taglilien, die von einer nahe gelegenen Stelle am Flussufer stammten. Grüne Sprossen stachen bereits durch die nasse Erde. Er wusste, dass es nur sein Vater gewesen sein konnte, der sich um das Grab gekümmert hatte, und er kniete sich hin und riss das Unkraut zwischen den Taglilien heraus. Inzwischen war es schon beinahe dunkel. Er meinte zu spüren, dass Makwa ihm etwas sagen wollte. Das war schon öfter passiert, und er glaubte beinahe, dass er ihren Zorn deshalb fühlte, weil sie ihm nicht sagen konnte, wer sie getötet hatte. Er wollte sie fragen, was er jetzt, da Pa nicht mehr lebte, tun solle. Der Wind kräuselte die Wasserfläche. Shaman entdeckte die ersten, hellen Sterne und fröstelte. Noch ist die Macht des Winters nicht gebrochen, dachte er, als er zum Haus zurückkehrte.
    Am nächsten Tag war ihm zwar bewusst, dass er eigentlich im Haus bleiben sollte für den Fall, dass noch verspätete Trauergäste kamen, doch er brachte es nicht fertig. Er zog Arbeitskleidung an und verbrachte den Vormittag damit, zusammen mit Alden Schafe zu dippen. Es gab neugeborne Lämmer, und er kastrierte die männlichen Tiere, wobei Alden die prairie oysters, die Hoden, verlangte, die er mit Eiern zum Abendessen braten wollte.
    Nachdem er gebadet und wieder seinen schwarzen Anzug angezogen hatte, saß er am Nachmittag mit seiner Mutter im Wohnzimmer. »Es wird das beste sein, du gehst die Sachen deines Vaters durch und entscheidest, wer was bekommen soll«, sagte sie. Trotz der inzwischen schon stark angegrauten Haare war seine Mutter mit ihrer wundervollen langen Nase und dem sinnlichen Mund eine der apartesten Frauen, die er je gesehen hatte. Was die ganzen Jahre über zwischen ihnen gestanden hatte, war auch jetzt noch da, doch seinen Widerstand konnte sie spüren. »Früher oder später muss es getan
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