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Media Control

Media Control

Titel: Media Control
Autoren: Noam Chomsky
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analysieren, Entscheidungen treffen und ausführen und in den politischen, wirtschaftlichen und ideologischen Systemen die Dinge ins Rollen bringen. Diese Klasse von Spezialisten umfaßt allerdings nur einen kleinen Prozentsatz der Gesamtbevölkerung. Der Rest gehört zu »den anderen«, den Handlungsobjekten der Spezialisten. Sie machen, so Lippmann, die »verwirrte Herde« aus, vor deren »Getrampel und Gelärm« wir, die Spezialisten, uns schützen müssen. Beide Klassen haben in der funktionierenden Demokratie eine festumrissene Funktion. Die Spezialisten und Planer kümmern sich um das Interesse der Allgemeinheit, während die »verwirrte Herde« die Rolle von Zuschauern spielt, hin und wieder jedoch einem Mitglied der Spezialistenklasse Gewicht verleihen darf, indem sie ihm die politische Führung zuspricht. Denn schließlich leben Hüter und Herde in einer Demokratie und nicht in einem totalitären Staat. Deshalb gibt es Wahlen, nach denen die Herde jedoch wieder in die Zuschauerrolle zurückfällt und an den Planungs- und Entscheidungsvorgängen nicht weiter beteiligt ist.
    Hinter dieser Theorie steckt eine Logik und sogar ein zwingendes Moralprinzip. Es besagt, daß die Masse der Bevölkerung zu dumm ist, um größere Zusammenhänge zu begreifen. Wenn sie den Versuch unternimmt, sich an der Regelung ihrer eigenen Angelegenheiten zu beteiligen, stört sie lediglich den reibungslosen Ablauf. Darum wäre es unmoralisch und unverantwortlich, dergleichen von ihr zu verlangen. Wir müssen die Herde zähmen, damit sie nicht alles zertrampelt. Ihr die Beteiligung an Entscheidungsprozessen zuzugestehen, wäre ebenso unklug wie ein dreijähriges Kind allein über die Straße laufen zu lassen, weil es mit dieser Freiheit sich selbst und andere gefährden könnte.
    Wir müssen also die Herde mittels einer neuen Revolution in der Kunst demokratischen Regierens zähmen, nämlich mit der »Herstellung von Konsens«. Medien, Schulen und Alltagskultur müssen zweigeteilt werden. Der politischen Klasse, den Spezialisten, vermitteln sie einen angemessenen Wirklichkeitssinn und die richtigen Überzeugungen. Konsens kann nämlich nur hergestellt werden, wenn eine entscheidende Voraussetzung zwar vorhanden ist, aber nicht ausgesprochen wird: Die Spezialisten gelangen nur an die Entscheidungshebel der Macht, indem sie - was sie auch vor sich selbst verbergen müssen - den wirklich Mächtigen dienen, den Eigentümern der Gesellschaft, einer ganz kleinen Gruppe von Personen. Nur wenn die Spezialisten bereit sind, deren Interessen zu dienen, gehören sie zu den Entscheidungsträgern. Aber das muß unter der Decke gehalten werden, und darum bekommen die Spezialisten jene Überzeugungen und Doktrinen eingetrichtert, mit denen sie den Interessen der privaten Macht dienen können. Mithin gibt es ein Erziehungssystem, in dem die zukünftigen Spezialisten sich die Werte und Interessen der Privatwirtschaft und des sie repräsentierenden staatlich-ökonomischen Sektors zu eigen machen, während die verwirrte Herde einfach abgelenkt und von den Fleischtöpfen der Macht ferngehalten werden muß.
    Diese Anschauungen sind von zahlreichen anderen Personen auf ähnliche Weise entwickelt worden. So ging z.B. der berühmte Politologe und Theologe Reinhold Niebuhr - der »Theologe des Establishments« und Guru von George Kennan und den Kennedy-Intellektuellen - davon aus, daß Rationalität eine nicht eben weit verbreitete menschliche Eigenschaft sei. Die meisten Leute ließen sich von ihren Gefühlen und Impulsen leiten. Die mit Rationalität Begabten hätten die Aufgabe, »notwendige Illusionen« und emotional einflußreiche »Übervereinfachungen« zu schaffen, um die naiven Einfaltspinsel auf Kurs zu halten. Das wurde in den zwanziger und dreißiger Jahren zu einer Standardhypothese der Politischen Wissenschaft. Damals erklärte Harold Lasswell, Begründer der modernen Kommunikationstheorie und einer der führenden Politologen, daß wir uns nicht dem »demokratischen Dogmatismus« hingeben und etwa glauben sollten, »die Menschen könnten ihre je eigenen Interessen selbst am besten beurteilen«. Das nämlich können nur wir, die Spezialisten. Darum müssen wir, schon aus Gründen gewöhnlicher Moralität, dafür sorgen, daß die Massen nicht die Gelegenheit bekommen, ihre Fehlurteile in Taten umzusetzen. In Diktaturen ist das einfacher. Man hält die Knute bereit, und wer aus der Reihe tanzt, bekommt sie zu spüren. Aber in freieren und
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