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Maya und der Mammutstein

Maya und der Mammutstein

Titel: Maya und der Mammutstein
Autoren: Margaret Allan
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entfernter Lichtstrahl tauchte auf. Ga -Ya wußte, daß es der Geist der Mammutmutter war. Sie neigte sich vor dem Strahl und sang nun auch für ihn.
    »Mammutmutter, die du das Volk mit deinem Fleische nährst, wir singen deinem Geist Lobeslieder. Wir ehren dich, deine Macht, deine große Seele, das Leben, das du bereitwillig unserem Stamme gibst. Das Volk liebt dich, Mammutmutter. Wir rufen zu dir, wir bitten um die letzte Gabe.«
    Jetzt tauchten weitere Lichter auf, die den Geist der Kinder von Mammutmutter verkörperten. Es war ein gigantisches Opfer, das sie verlangte, soviel wußte Ga -Ya, doch es war Teil jenes größeren Kreises, den nur die Große Mutter selbst sehen konnte.
    Die klagenden Töne der Flöte umgaben sie in der Dunkelheit, während sie die vielen Lichter betrachtete, die nun bald erlöschen würden. Sie spürte Tränen auf ihren Wangen. Dann sprach eine Stimme, die nur für ihre Ohren bestimmt war, zu ihr: Geh nun, Tochter. Ich werde deine Gebete erhören. Ich werde deine Bitten an Mammutmutter weiterleiten, und sie wird auf mich hören. Geh jetzt. ..
    Nur für einen Augenblick glommen die Lichter heller, um dann, eins nach dem anderen, zu erlöschen. Schließlich war lediglich das Strahlen von Mammutmutter übrig. Ga-Ya blickte diesem Licht entgegen, das Herz voll von Liebe für das Opfer, das gebracht werden würde, und für die Große Mutter, die alle Dinge befahl.
    »Danke«, wisperte sie, erst an die Große Mutter und dann an Mammutmutter gerichtet. Es war ihr, als empfange sie eine entfernte Antwort, ein trauriges Hinnehmen, dann war der Funken vergangen. Die warme Finsternis um sie herum löste sich auf. Der Klang ihrer Flöte dröhnte ihr in den Ohren.
    Kurz bevor sie die Augen wieder öffnete und sie noch in dem Raum zwischen Traumzeit und Welt schwebte, vernahm sie die Stimmen der Jäger, die sie riefen. Blindlings tasteten ihre Finger nach der Rassel, die in ihrem Schoß ruhte. Sie ließ die Flöte sinken, nahm die Rassel in die eine Hand und legte die Finger der anderen auf die glatte Mammutnachbildung aus geschnitztem Elfenbein. Sie stellte sich vor, sie könne den Geist der Mammutmutter dort fühlen, wie er von dem Knochen in ihre Finger und von dort in ihr Herz stieg.
    »Danke«, betete sie ein letztes Mal. Sie schlug die Augen auf, schüttelte die Rassel und stimmte den Todesgesang der Mammutmutter an, geleitete sie zu ihrer letzten Ruhestätte.
    Die drei Gestalten, die auf ihren gefährlich schwankenden Pfahl zutaumelten, bemerkte sie nicht, nicht das junge Mammut, nicht seine beiden blutrünstigen Angreifer. Doch selbst wenn Ga -Ya sie bemerkt hätte, hätte sie in ihrem Lobgesang nicht gestockt. Mammutmutter hatte dem Volke alles gegeben; sie verdiente diese letzte respektvolle Ode.
    Die Rassel klang leise und drängend an ihr Ohr. Sie sang weiter, von Blut und Tod und Liebe.
    Die Frauen und Kinder hatten sich entlang der Felsen oberhalb der Kluft versammelt, um das Gemetzel unten zu beobachten. Sie hoben sich von dem saphirblauen Himmel ab wie eine Versammlung von Aaskrähen, und ihre schwarzen Augen blitzten vor Freude, als sich der letzte Akt der Jagd in der Todesklamm zu ihren Füßen vollzog.
    Die Mammutmutter war als erste in die Falle gestürmt, ihre mächtigen Füße stampften hart auf die weiche, sumpfige Erde am Grunde der schmalen Schlucht. Ihre Ohren waren wie Fächer ausgebreitet, als sie ihr gewaltiges Haupt hob und wieder und wieder vor Furcht und Verzweiflung trompetete. Ihr folgte der Rest der Herde: drei ausgewachsene Kühe und ein halbes Dutzend kleinerer Weibchen und Jungbullen. Die Frauen des Stammes, die die Mammuts beobachteten, fühlten das dumpfe Stampfen ihrer Hufe als schwaches Beben des Bodens. Sie schwenkten Stöcke, Sehabmesser und Handäxte über den vorbeiziehenden Tieren.
    Inzwischen hatten auch die Jäger den Eingang zur Schlucht erreicht, dort schüttelten sie ihre Speere, tanzten und brüllten. Der Lärm trieb die verängstigten Tiere noch tiefer in die enge Klamm, wo sie sich zusammendrängten, von Felswänden eingeschlossen. Der Untergrund, aufgeweicht und matschig, ließ ihre Bewegungen allmählich mühsam und schwerfällig werden. Ihre riesigen Körper prallten gegeneinander und gegen die Fels wände, die sie gefangenhielten, bis die ganze Herde eine einzige um sich tretende und stoßende Masse kreischender Tiere war.
    Verzweiflung und blinde Panik ließen sie einander mit messerscharfen Stoßzähnen verletzen. Die Frauen oben auf den
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