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Maya und der Mammutstein

Maya und der Mammutstein

Titel: Maya und der Mammutstein
Autoren: Margaret Allan
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Fünfundzwanzig Jahrhunderte lang nicht. Sie hielt in jeder ihrer knotigen, wissenden Hände ein Mammut hoch.
    »Ich liebe dich«, flüsterte sie, als sie auf das Grab zuschritt.
    Nur die Zeit mußte nun abgewartet werden, aber auch das war in Wahrheit kein Problem.
    Zeit.
    Sie hatte alle Zeit der Welt.
    Das würde reichen.
    She-Yas Augen weiteten sich, als er die Schnitzwerke in Augenschein nahm. Er hielt sie beide in Händen, in weiches Fell gebettet, damit seine männlichen Finger nicht ihre glatte Oberfläche berührten. Diese Warnung hatte sie ihm bereits erteilt.
    »Kein Mann darf die Mammutsteine berühren, auf daß ihnen nicht all ihre Magie entweicht und Finsternis über das Volk hereinbricht«, erklärte sie.
    Ga-Ya hatte die Steine nicht mit einem Fluch belegt, ihre Worte kamen eher einer Art Warnung gleich, doch She-Ya spürte die Wahrheit darin, und hielt sich an das Gebot.
    Er blickte auf Ga -Ya hinab. Er hatte recht gehabt; ihr Bein war zu schwer verletzt gewesen, um wieder vollständig zusammenzuheilen, und Ga -Ya hatte nie wieder richtig gehen können. Nun glaubte er zu sehen, wie ihre Kräfte schwanden. Es war, als sei all ihr Geist, all ihre Magie in die Fertigung dieser beiden kleinen Figuren geflossen.
    Ihre Augen waren schmale Schlitze, in einem von ihnen leuchtete eine dünne blaue Linie, in dem anderen eine in kla rem, hellem Grün.
    Jedesmal, wenn er ihre Augen ansah, erfüllte ihn wieder andächtiges Staunen. Kein Mitglied des Volkes hatte jemals solche Augen gehabt. Sie waren das Zeichen der Großen Mutter selbst, das sie nur ihren Auserwählten zuteil werden ließ.
    Offenbar schwebte sie in einem Zustand irgendwo zwischen Wachen und Schlafen, wie sie es so oft tat, manchmal mitten in ihren Unterhaltungen.
    Während der Zeit der Unterweisungen hatten sie oft und lange miteinander geredet, die Worte waren in einem nicht enden wollenden Strom über ihre Lippen geflossen, wie getrieben von einer Dringlichkeit, die sie ihm nicht enthüllen durfte, als sei sie entschlossen gewesen, alles weiterzureichen, wie unbedeutend es auch sein mochte, alles, was er brauchen oder sie geben konnte.
    Sie schien jetzt zu schlafen. Ihr Brustkorb hob und senkte sich schwach, aber regelmäßig. Vorsichtig legte She-Ya beide Schnitzwerke auf ihre Brust, wo ihre Finger sie leicht ertasten konnten, wenn sie aufwachen würde. Schon bald würde sie das Leben loslassen, das sie so energisch festgehalten hatte, und als er das begriff, widerstrebte es ihm, sie zur Großen Mutter zurückkehren zu sehen.
    Sein ganzes Leben lang hatte er ihre Magie für sich gewollt, doch jetzt, am Ende, erkannte er die Verantwortung, die mit der Magie einherging.
    Er war nicht länger nur er selbst, er gehörte nun vollständig dem Volk und der Mutter. Das Geheimnis - daß schon bald die Große Wanderung beginnen und das Volk zu fernen Ufern führen würde - gehörte sowohl ihm als auch ihr. Er war sich im unklaren darüber, welche Rolle die Mammutsteine bei all dem spielen würden, doch seine Befehle waren klar und deutlich: Der Stein - denn auf der Wanderschaft würde es nur einen einzigen geben - durfte nicht von einem Mann berührt werden. Nur eine Tochter der Großen Mutter persönlich, von ihr gezeichnet - ein blaues, ein grünes Auge -, konnte den Mammutstein aufnehmen und seine ganze Kraft benutzen. Doch die reine Gegenwart des Steins, der sorgsam im Herzen des Volkes bewahrt und bewacht werden sollte, reichte aus, um sie auf ihrer Wanderschaft zu führen.
    She-Ya hatte das gemeinsam mit Ga -Ya geträumt, und er wußte, daß es so geschehen würde. Doch obgleich er den Traum mit ihr geteilt hatte, hatten sie nicht wirklich das gleiche gesehen. Sie hatte klar durch die Nebel der Zeit geblickt, wo ihm lediglich ein verschwommenes Verständnis der Jahrtausende, um die es ging, zuteil geworden war. Wenn er an die lange Wanderung dachte, maß er sie an der Spanne der Mondwanderungen.
    Zeitspannen von >Jahrhunderten< zu denken, lag außerhalb seiner Vorstellungskraft.
    Während er auf Ga -Ya hinabblickte, vergaß er all das. Nur seine Liebe zu ihr blieb. Zärtlich reichte er zu ihr hinunter und streichelte ihre alte Stirn.
    »Mutter«, wisperte er.
    Jäh riß sie ihre Augen auf. Erschrocken zog er seine Hand zurück. Ihr Blick versengte ihn, doch wenn er sich später diesen Moment ins Gedächtnis rief, glaubte er nicht mehr, daß dieser Blick tatsächlich ihm gegolten hatte.
    Wie kleine Feuer brannte ihr Blick in ihrem Gesicht.
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