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Max Weber (German Edition)

Max Weber (German Edition)

Titel: Max Weber (German Edition)
Autoren: Dirk Kaesler
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sowohl die Themen der wissenschaftlichen Arbeiten Webers als auch deren Ergebnisse mit zeitgenössischen und familienbiographischen Zusammenhängen verflochten sind. Es gibt viele Stichworte, die heute mit dem Namen Max Weber assoziiert werden und die zum Kernbestand nicht nur der internationalen Soziologie zählen, sondern darüber hinaus zum Kanon der Allgemeinbildung. Besonders eines steht dabei im Mittelpunkt: das der «Rationalisierung». Damit ist jener große ideengeschichtliche Zusammenhang angesprochen, mit dem Webers späte Vision der Moderne chiffriert zu werden pflegt. Das Konzept der zunächst okzidentalen, dann universalen «Rationalisierung», für das Max Weber heute so bekannt geworden ist, wurde von ihm erst gegen Ende seiner wissenschaftlichen Arbeit «entdeckt». Es entwickelte sich bei ihm, ohne dass ihm bewusst war, wohin ihn die Reise führen würde. Deren Ausgangspunkte lagen zum einen in seinem eigenen Familiensystem begründet, zum anderen in den Stationen seines wissenschaftlichen und politischen Werdegangs, und beides war eng miteinander verflochten. Dies zu zeigen ist die Absicht der folgenden Ausführungen.

II Von der Leibeigenschaft zum Agrarkapitalismus. Die Gutsbesitzer-Enquêten
    Fünf Jahre nach der Geburt des Maximilian Carl Emil Weber am 21. April 1864 im damals preußischen Erfurt zogen Dr. Max Weber senior (1836–1897) und seine Ehefrau Helene Weber, geborene Fallenstein, mit ihren beiden kleinen Söhnen – Max und dem vier Jahre jüngeren Alfred – nach Charlottenburg, eine damals eigenständige und wohlhabende Stadt im Westen Berlins. Grund für diesen Umzug war die berufliche Karriere des Vaters. Der Stadtrat Weber hatte Jura in Göttingen und Berlin studiert und war im April 1858 in Göttingen zum Dr. jur. utr. promoviert worden. Seit 1862 war er in der Garnisonsstadt Erfurt als besoldeter Stadtrat tätig gewesen, doch genügte ihm diese Stelle nicht. Ehrgeizig wie er war, bewarb er sich um die Übernahme des Amtes eines der 34 hauptberuflichen Stadträte der Großstadt Berlin und hatte Erfolg. Von Oktober 1868 an füllte er dieses Amt 2. Jahre lang aus. Zugleich diente Max Weber senior als Abgeordneter zum Preußischen Abgeordnetenhaus (1868–1882; 1884–1897) und als Abgeordneter zum Deutschen Reichstag (1872–1884). Von seiner politischen Haltung her gehörte er zu den Konstitutionalisten, einer Fraktion der Nationalliberalen Partei, die sowohl für eine starke Hohenzollern-Monarchie als auch für die Beachtung der Rechte des Volkes eintrat. Max Weber senior entwickelte sich zu einem erfolgreichen, bürgerlich-liberalen Politiker im Königreich Preußen. Der Vater sollte dem Erstgeborenen und Träger des gleichen Namens lebenslang als Modell des Berufspolitikers vor Augen stehen.
    Ein Blick auf die Geschichte der väterlichen Familie führt in das Milieu einer im preußischen Westfalen ansässigen Industriellen- und Kaufmannsfamilie deutsch-englischer Textilfabrikanten und -händler. Der Großvater, Karl August Weber (1796–1872), war Mitglied des Bielefelder Handelspatriziats und blieb für seinen Enkel Max das Beispiel eines frühkapitalistischen Unternehmers. Der Onkel, Carl David Weber (1824–1907), übernahm eine Leinenweberei in Oerlinghausen im Fürstentum Lippe und etablierte dort die moderne Unternehmensführung, er lieferte das Vorbild des modernen kapitalistischen Unternehmers. Von den Erträgen der Haus- und Familiengemeinschaft des Leinenhandels der Familie Weber lebten viele Mitglieder des verzweigten Familiensystems, nicht zuletzt auch Max Weber junior und seine Ehefrau Marianne.
    Lässt sich die Familie Weber dem deutschen Besitzbürgertum zuordnen, so gehörte die mütterliche Familie der Fallenstein eher zum deutschen Bildungsbürgertum, bei gleichzeitigem erheblichen materiellen Wohlstand. Helene Weber (1844–1919), Max Webers Mutter, empfing die wesentlichsten geistigen Anregungen von ihrem Vater, Georg Friedrich Fallenstein (1790–1853), einem Geheimen Finanzrat im preußischen Finanzministerium in Berlin. Ihre Mutter, Emilie Souchay, entstammte einem Hugenottengeschlecht, das in der Gegend um Frankfurt am Main ansässig geworden war. Helene Weber selbst war eine Frau von hoher Bildung, die sich stark mit religiösen und sozialen Problemen beschäftigte und ab 1904 in der Armenverwaltung der Charlottenburger Stadtverwaltung tätig wurde.
    Ab 1870 besuchte Max Weber junior eine vorbereitende Privatschule, zwei Jahre später wechselte
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