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Max Weber (German Edition)

Max Weber (German Edition)

Titel: Max Weber (German Edition)
Autoren: Dirk Kaesler
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Kontextualisierung hilft hier nicht weiter: Der Bürger Max Weber und der Jahre später «Werturteilsfreiheit» fordernde Gelehrte erweist sich in dieser Phase bis zur deutschen Niederlage im Ersten Weltkrieg als verblendeter Visionär einer deutschen Großmachtpolitik.
    Neben dem konventionellen Kanon seiner Lehrverpflichtungen wurde die Auseinandersetzung mit Fragen zur Funktion und Bedeutung der Börse das eigentlich zentrale Thema der wissenschaftlichen Arbeiten Max Webers in seiner Freiburger Zeit. Ebenso wenig, wie die genauen Umstände seiner Berufung nach Freiburg geklärt sind, weiß man darüber Bescheid, warum Weber sich der Börsenthematik zugewandt hat. Unfraglich stand aber auch bei diesen Arbeiten das nationale Machtinteresse, das zum einen gefährdet schien durch den Verrat der nationalen Interessen durch die Junker, zum anderen durch die politischen Hindernisse für die Schaffung einer «starken Börse» im Deutschen Reich, im Vordergrund. Nach dem Erlass des Börsengesetzes vom 22. Juni 1896 ergab sich für Weber im November 1896 überraschend die Möglichkeit, als «Sachverständiger» im «(Provisorischen) Börsenausschuß» des Deutschen Bundesrats mitzuwirken. Dieser Ausschuss beim verfassungsgemäß obersten Reichsorgan, der Vertretung aller 25 Bundesstaaten, umfasste insgesamt 30 Mitglieder, von denen 15 von den deutschen Börsen vorgeschlagen waren, vier direkt vom Bundesrat, elf von den Landesregierungen. Weber gehörte zu jenen vier, die der Bundesrat vorgeschlagen hatte.
    Neben dieser politischen Beratertätigkeit schlug sich Webers wissenschaftliche Beschäftigung mit der Börse in zwei Arten von Arbeiten nieder: Zum einen verfasste er für die von Friedrich Naumann herausgegebene Göttinger Arbeiterbibliothek zwei Hefte über Die Börse, zum anderen nahm er in der Zeitschrift für das Gesammte Handelsrecht, im Handwörterbuch der Staatswissenschaften und in der Deutschen Juristen-Zeitung außerordentlich kritisch Stellung zu den Ergebnissen und Vorschlägen der Börsenenquête-Kommission und dem Börsengesetz vom 1. Januar 1897.
    An seinen Börsen-Studien zeigt sich eine allmähliche Modifizierung jener Sichtweise, die Weber in seiner Beschäftigung mit der Lage der ostelbischen Landarbeiter entwickelt hatte. Wiesen die Landarbeiter-Studien darauf hin, dass das Vordringen des Kapitalismus traditionelle kulturelle Muster zerstörte, so wird aus Webers Untersuchungen der Börsenverhältnisse deutlich, dass das Vordringen des Kapitalismus auch neue, positive kulturelle Werte mit sich brachte. Erst die Institutionalisierung der Börsen ermöglichte die weltweite Ausdehnung des Tauschhandels von Massenartikeln und die Kalkulierbarkeit internationaler ökonomischer Vorgänge. Zu den Hauptanliegen Webers gehörte es, diese positiven Funktionen wesentlich vom «politischen und ökonomischen Machtinteresse einer Nation aus» zu bewerten und eine «rationelle, von den Interessen der Machtstellung Deutschlands ausgehende Börsenpolitik» durchzusetzen.
    Max Webers Interesse für das Börsengeschehen stand keineswegs nur im Zusammenhang mit seinen vorangegangenen Landarbeiter-Studien, sondern war zugleich auch von einer Vertrautheit mit Aktien und Spekulation getragen, die ihm von Kindesbeinen an mitgegeben war. Sein Vater hatte große Teile des Vermögens seiner Frau – in den 1890er-Jahren etwa eine halbe Million Goldmark – in Aktien angelegt, vor allem in Eisenbahnaktien sowohl in Deutschland als auch in den Vereinigten Staaten. Wir können davon ausgehen, dass der Freiburger Professor für Nationalökonomie und Abkömmling einer Kaufmannsdynastie, der in ebendieser Zeit über die Börse schrieb, sehr persönliche Erfahrungen in seine wissenschaftliche und politische Bewertung einfließen ließ.
    Mögen zwar seine Bemühungen, die Funktionen und Wirkungen der Börse einem interessierten Laienpublikum von Arbeitern zu erklären, von Erfolg begleitet gewesen sein, sein Engagement auf der Ebene der praktischen Politik endete mit einer großen Enttäuschung. Seine scharfe Kritik an den Vorschlägen der Börsenenquête-Kommission, der er vorwarf, nach moralischen statt politischen Gesichtspunkten und unter dem Druck der agrarischen Interessenvertreter, der von ihm so gehassten Junker, zu verfahren, führten letztlich dazu, dass er nicht in den endgültigen Börsenausschuss aufgenommen wurde. So endeten die beiden Freiburger Jahre mit der ersten großen Enttäuschung der bis dahin so steil
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