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Max Weber (German Edition)

Max Weber (German Edition)

Titel: Max Weber (German Edition)
Autoren: Dirk Kaesler
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Wissens umkleidet, die ungewöhnliche Denkschärfe ergänzt sich durch ebenso ungewöhnliche plastische Kraft. So gestaltet er auch das Abstrakteste verständlich durch Fülle der Beispiele und Unmittelbarkeit des Vortrags. Jedes Kolleg scheint frisch aus der Werkstatt seines Geistes hervorzugehen.»
    Die Freiburger Universität bot Weber, zusätzlich zu beruflicher Sicherheit, ein intellektuell überaus anregendes Umfeld. Neben bekannten Gelehrten wie Hugo Münsterberg begegnete er vor allem in Heinrich Rickert der südwestdeutschen Schule des Neukantianismus. Rickerts Interesse an einer Abwehr des Totalitätsanspruches der «exakten» Naturwissenschaften zugunsten einer Dichotomie Geisteswissenschaft vs. Naturwissenschaft unterstützte Max Weber schon deswegen, weil ihm sowohl «Naturalismus» wie «Historismus» gleichermaßen als «Ressortpatriotismus» ärgerlich waren.
    Am 13. Mai 1895, zu Beginn seines zweiten Freiburger Semesters, hielt Max Weber seine akademische Antrittsrede Der Nationalstaat und die Volkswirtschaftspolitik. Im Kern ging es ihm um das politische Schicksal des Deutschen Reiches. Für ihn war die zentrale Frage: Soll das Deutsche Reich auch weiterhin eine wesentlich (groß-)agrarisch bestimmte Nation bleiben, oder soll es zu einem exportorientierten Industriestaat entwickelt werden? Gerade weil der damalige Reichskanzler und preußische Ministerpräsident, Leo Graf von Caprivi, auf die Variante des exportorientierten Industriestaates setzte, leisteten die konservativen Eliten in Preußen und im Reich erbitterten Widerstand, da sie sich völlig zu Recht in ihrer Existenz bedroht fühlten. Max Weber war einer derjenigen, die die zukünftige Existenzberechtigung der getreideproduzierenden Großgüterwirtschaft im Besitz des (preußischen) Adels ganz besonders trickreich infrage stellte – trickreich deswegen, weil er seine Gegnerschaft zu den «Junkern» mit nationalistisch-patriotischen Überzeugungen begründete. Diese Gegnerschaft war weder sozialdemokratisch gefärbt, etwa weil ihm die Ausbeutung der arbeitenden Massen Sorgen bereitet hätte, noch war sie von kulturpessimistischen Motiven geprägt, die in der steigenden Industrialisierung und der dadurch zunehmenden Verstädterung eine Gefahr für die deutsche Kultur sahen. Solches waren Max Webers Sorgen nicht: Ihm lag die Sorge am patriotischen Herzen, dass durch den politischen und gesellschaftlichen Einfluss der preußischen Großgrundbesitzer die zukünftige und anzustrebende Rolle Deutschlands als wirtschaftliche und politische Weltmacht gefährdet war. Trickreich war seine Position aber auch deswegen, weil er seine Argumente in Forderungen nach der Verbesserung der Lage der – deutschen! – ostelbischen Landarbeiter kleidete und zugleich nach der Verteidigung der deutschen Nationalität gegenüber der besonders durch die polnischen Saisonarbeiter erzeugten «Überfremdung» aus den slawischen Nachbarländern rief, die durch die Ablösung der ostelbischen Großgüterwirtschaft zu erreichen seien. Das «Schicksal» der deutschen Landarbeiter auf den großen ostelbischen Gütern wurde für Max Weber zum Prüfstein der Auswirkungen des auch auf dem Lande unaufhaltsam vorrückenden modernen, rationalen Betriebskapitalismus.
    Von bedrückender Tonlage sind die Diskussionen über die befürchteten Folgen der «Polonisierung» des deutschen Ostens, die insbesondere von der Nationalliberalen Partei geschürt und vom Allgemeinen Deutschen [später: Alldeutschen] Verband und dem Verein zur Förderung des Deutschtums in den deutschen Ostmarken wirkungsvoll radikalisiert wurden. Die Parolen von der Gefährdung des «Deutschtums» durch die unkontrollierten Einwanderungswellen der Wanderarbeiter vornehmlich aus Russisch-Polen und Galizien, in ihrer nur schwer erträglichen Kombination von xenophoben und antisemitischen Tönen mit Großmacht-Phantasien, erinnern fatal an spätere – und gegenwärtige – Agitationen gegen die «Überfremdung» Deutschlands.
    In dieser Phase seines Denkens und Schreibens war Weber ein rücksichtsloser Nationalist. Dass seine zuweilen rassistischen Äußerungen nicht als Spinnereien eines jugendlichen Idealisten abgetan werden können, sondern eingeordnet werden müssen in einen längeren intellektuellen Reifungsprozesses, wird an dieser Freiburger Rede deutlich, die ihre Wirkung vor allem durch die gedruckte Fassung vom Juni 1895 entfaltete. Radikal und schockierend, mit persönlicher Genugtuung «über die
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