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Max Weber (German Edition)

Max Weber (German Edition)

Titel: Max Weber (German Edition)
Autoren: Dirk Kaesler
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erweitern, kontrollieren und ergänzen sollte. Die Entscheidung, die Pfarrer zu befragen, sei bestimmt gewesen von der Überzeugung, diese seien ganz besonders gut geeignet: «Denn der Geistliche beobachtet […] den Landarbeiter von einem anderen Gesichtspunkt aus als der Arbeitgeber. Dieser ist Partei, wie der Arbeiter selbst, der Geistliche einer der wenigen Unparteiischen, die auf dem Lande überhaupt zur Verfügung stehen.»
    Wiederum endeten Webers Schlussfolgerungen mit politischen Überlegungen, wobei sich seine Kritik an der traditionellen Großgrundbesitzerschicht der ostelbischen Junker erheblich verschärft hatte: «Diesem Grundadel eigen war das naive Bewußtsein, die Vorsehung habe es so eingerichtet, daß er zum Herrscher und die Anderen auf dem Lande zum Gehorsam berufen seien. Warum? Darüber machte er sich keine Gedanken. Die Abwesenheit der Reflexion war ja eine seiner wesentlichen Herrschertugenden.»
    Weber, der sich in diesem Zusammenhang als einen «klassenbewußten Bourgeois» bezeichnete, sah sowohl auf der Seite der Großgrundbesitzer wie auf der Seite der Landarbeiter dominante Tendenzen der Klassenbildung. Durch diese Entwicklung würden die ehemaligen persönlichen Herrschaftsverhältnisse allmählich durch eine «unpersönliche Klassenherrschaft» ersetzt: «Nur die Klasse kann mit der Klasse verhandeln; die Verantwortlichkeitsbeziehungen zwischen dem einzelnen Herrn und dem einzelnen Arbeiter verschwinden; der einzelne Unternehmer wird gewissermaßen fungibel, er ist nur noch Typus der Klasse. Die persönliche Verantwortlichkeitsbeziehung verschwindet; etwas Unpersönliches, die Herrschaft des Kapitals pflegt man es zu nennen, tritt an die Stelle.» Durch diese Entwicklung entstehe der Hass der einen Klasse gegen die andere, den Weber mit dem «Nationalhass» gegen den «Erbfeind» Frankreich verglich. In Verbindung mit dem objektiven Interessengegensatz erwachse der Klassenkampf, von dem Weber sagte: «Der Klassenkampf ist […] ein integrierender Bestandteil der heutigen Gesellschaftsordnung […].»
    Beide Enquêten beinhalteten gründliche empirische Arbeiten zur Analyse relevanter Aspekte jener Gesellschaft, in der Max Weber lebte. Es darf nicht vergessen werden, dass etwa im Jahre 1881 noch 47 % der erwerbsfähigen Bevölkerung des Deutschen Reiches in ländlicher Beschäftigung standen. Wie auch seine wissenschaftlichen Kollegen und Zeitgenossen, Werner Sombart allen voran, untersuchte Weber die wechselseitigen Auswirkungen der allmählichen Durchsetzung des Kapitalismus im Bereich der landwirtschaftlichen Produktion, wie insgesamt auf ökonomischem, gesellschaftlichem, politischem, psychologischem und ethischem Gebiet. Um derartige Ursachen und Folgen übergreifender Prozesse aufzeigen zu können, bemühte sich Weber um eine möglichst umfassende Analyse sowohl der nicht unmittelbar gesellschaftlich abhängigen Faktoren (Bodenqualität, klimatische Bedingungen etc.) als auch der gesellschaftlichen Bedingungen (Grundbesitzverteilung, Arbeitsorganisation, Sozialeinrichtungen etc.). Zugleich verband er analytisch lokale Gegebenheiten mit nationalen Verhältnissen, wie den Getreideschutzzöllen und der staatlichen Landwirtschaftspolitik, und zudem mit internationalen Verhältnissen, wie vor allem dem Getreidepreis auf dem Weltmarkt. Webers politische Forderungen, insbesondere seine nationalistisch geprägte Kritik sowohl an der Arbeitsmarktpraxis des ostelbischen Junkertums als auch an dessen politischem Einfluss, blieben insgesamt gesehen allerdings vollkommen wirkungslos.

III Professor in Freiburg und Heidelberg. Aufstieg und Absturz
    Seit Februar 1892 war Max Weber Privatdozent der Berliner Universität. Seitdem war es sein Ziel, eine feste Stelle als beamteter Professor an einer deutschsprachigen Universität zu erlangen. Das preußische Wissenschaftsministerium, geprägt von der Gestaltungskraft seines mächtigen Ministerialdirektors, Friedrich Althoff, sorgte dafür, dass der 29-jährige Max Weber ab Oktober 1893 zum außerordentlichen Professor für Handelsrecht an der Juristischen Fakultät der Königlichen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin ernannt wurde und als solcher auch weiterhin mit der Vertretung seines erkrankten Lehrers, Levin Goldschmidt, beauftragt blieb. Dabei waren es wohl weniger seine beiden akademischen Qualifikationsarbeiten, sondern vor allem seine Gutsbesitzer-Enquêten, die ihm Anerkennung eingetragen hatten. Die daraus abgeleiteten
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