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Mauern aus Holz, Maenner aus Eisen

Mauern aus Holz, Maenner aus Eisen

Titel: Mauern aus Holz, Maenner aus Eisen
Autoren: Alexander Kent
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viel zusammen erlebt, Vizeadmiral Sir Richard Bolitho und er. Das Schicksal hatte sie zusammengespleißt. Allday wischte sich Gischtflocken aus dem Gesicht und schüttelte den langen geteerten Zopf über seinem Kragen. Die meisten Leute glaubten wahrscheinlich, daß es Bolitho an nichts mangelte. Seine letzten Ruhmestaten wurden in den Häfen und Kneipen Englands besungen, und Charles Dibdin oder einer seiner Freunde hatte sogar eine Ballade darüber komponiert: »Wie die
Hyperion
uns den Weg freischoß …« Das waren die Worte eines sterbenden Matrosen gewesen, dessen Hand Bolitho an jenem schrecklichen Tag bis zuletzt gehalten hatte, obwohl er gleichzeitig an hundert anderen Stellen benötigt wurde.
    Nur die, die an seinen Gefechten teilgenommen hatten, wußten, wie Bolitho wirklich war. Sie kannten die Kraft und die Hingabe des Mannes mit den goldenen Schulterstücken, der seine Leute auch dann noch begeistern konnte, wenn sie halb wahnsinnig waren oder taub vom höllischen Lärm der Schlacht. Der sie Mut fassen ließ, selbst im Angesicht des sicheren Todes. Trotzdem blieb Bolitho ein Außenseiter, über den die Londoner Gesellschaft die Nase rümpfte und in den Kaffeehäusern Gerüchte verbreitete. Allday richtete sich seufzend auf. Der Schmerz kam nicht wieder. Die Schwätzer wären alle überrascht gewesen, wenn sie gewußt hätten, wie wenig Bolitho sich darum scherte. Er hörte Polands kurzes Kommando: »Einen guten Mann nach oben, wenn ich bitten darf!«
    Allday fühlte fast Mitleid mit dem Ersten, als der antwortete: »Bereits geschehen, Sir. Ich habe einen Gehilfen des Masters in den Fockmast geschickt, als die Wache an Deck kam.«
    Beim Weggehen funkelte Poland den müßigen Bootssteurer des Admirals an. »Nur die Achterdeckswache und meine Offiziere dürfen hier …« Aber er verschluckte den Rest und trat zum Kompaß.
    Allday stapfte den Niedergang hinunter und tauchte wieder in die Gerüche und Geräusche des Schiffes ein: Teer, Farbe, Tauwerk und Salz. Er hörte gebellte Kommandos, das Quietschen von Spieren und Blöcken, das Stampfen Dutzender nackter Füße, als die Männer ihre Kraft gegen den Druck von Wasser und Wind warfen und das Schiff über Stag ging, auf den neuen Kurs.
    An der Tür zur Achterkajüte stand der Posten der Seesoldaten steif unter einer wild tanzenden Lampe. In seinem roten Rock kippte er fast um, als das Ruder hart übergelegt wurde. Allday nickte ihm zu und stieß die Lamellentür auf. Er mißbrauchte seine Vorrechte selten, aber es machte ihn stolz, hier nach eigenem Willen kommen und gehen zu können. Wieder etwas, das Kapitän Poland ärgerte, dachte er und kicherte. Fast stieß er mit Ozzard zusammen, Bolithos schmächtigem Steward, der sich mit ein paar Hemden zum Waschen davon drückte, grau und unauffällig wie ein Maulwurf.
    »Wie geht’s ihm?«
    Ozzard sah sich um. Hinter den Schlafstellen und Polands Schwingkoje lag die Kajüte fast noch im Dunkeln – bis auf eine einsame Laterne. Er murmelte: »Hat sich nicht bewegt.« Dann war er verschwunden: verläßlich, verschwiegen und immer da, wenn er gebraucht wurde. Ozzard brütete wohl immer noch über seinem Verhalten an jenem Tag im Oktober, als die alte
Hyperion
zwar den Kampf gewonnen, aber danach untergegangen war. Nur Allday wußte, daß Ozzard vorgehabt hatte, mit ihr zu sterben, mit all den Toten und Verwundeten. Der Grund dafür war sein Geheimnis. Ob Bolitho ihn ahnte?
    Dann sah er Bolithos bleiche Gestalt vor den breiten Heckfenstern. Er saß auf der Bank, ein Knie angezogen, und sein Hemd leuchtete weiß vor dem bewegten Wasser draußen.
    Allday sagte unsicher: »Ich hole noch eine Laterne, Sir Richard.« Bolitho wandte den Kopf, aber seine grauen Augen blieben im Schatten. »Es wird bald hell genug sein, mein Freund.« Unwillkürlich berührte er sein linkes Augenlid. »Wir werden heute wohl Land sichten.«
    So ruhig gesagt, dachte Allday, und doch mußten ihm Kopf und Herz von Erinnerungen überquellen, von guten und bösen. Aber seine Stimme verriet nichts davon, auch nichts von der Sehschwäche seines linken Auges.
    »Wenn nicht, wird Käpt’n Poland gottslästerlich fluchen, darauf wette ich«, sagte Allday.
    Bolitho lächelte und wandte sich wieder der See zu, die ums Ruder kochte, als würde gleich ein großer Fisch das Wasser durchstoßen, um nach der Fregatte zu schnappen. Er liebte die Morgendämmerung auf See. Auf so vielen und so unterschiedlichen Gewässern hatte er sie erlebt, von den
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