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Mauern aus Holz, Maenner aus Eisen

Mauern aus Holz, Maenner aus Eisen

Titel: Mauern aus Holz, Maenner aus Eisen
Autoren: Alexander Kent
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stillen blauen Tiefen der großen Südsee bis zu den wütenden grauen Wüsten des Atlantiks. Jedes Meer hatte sich ihm so unverwechselbar eingeprägt wie die Schiffe und die Männer, die sich mit ihm gemessen hatten.
    Er hatte gehofft, daß der neue Tag ihm Befreiung bringen würde von seinen bohrenden Gedanken. Ein gutes, sauberes Hemd, eine gründliche Rasur von Allday – danach fühlte er sich meist wohler. Aber diesmal nicht.
    Wieder hörte er die Pfeifen schrillen und konnte sich leicht die systematische Hektik an Deck vorstellen, als die Segel getrimmt und Brassen und Fallen dichtgeholt wurden. Insgeheim würde er wohl immer der Fregattenkapitän bleiben, der er einst gewesen war, als Allday an Bord kam, geschnappt von einem Preßkommando. Seit damals hatten sie viele tausend Meilen gesegelt und zu viele Männer verloren: Gesichter, so schnell weggewischt wie Kreidestriche von einer Tafel.
    Bolitho sah das erste Licht auf den Wellenkämmen; zu beiden Seiten des Ruders teilte sich golden der Schaum, als die Morgensonne über die Kimm zu steigen begann. Da stand er auf und stützte sich aufs Fenstersüll, um der See ins Gesicht zu blicken.
    Er erinnerte sich, als sei es gestern gewesen, an den Admiral, der ihm den verhaßten Befehl gegeben hatte. Vergeblich hatte er protestiert, es war das einzige Kommando, das ihm die Admiralität nach seinem schrecklichen Fieber zugebilligt hatte.
    »Schließlich waren Sie doch einmal Fregattenkapitän, Bolitho …« Ja, aber vor zwölf Jahren – oder noch länger! Am Ende hatte man ihm die alte
Hyperion
geben müssen und das wohl auch nur wegen der blutigen Revolution in Frankreich und wegen des Krieges, der ihr folgte und bis zu diesem Tag tobte.
    Die
Hyperion
wurde das wichtigste Schiff seines Lebens. Viele hatten an seiner Urteilsfähigkeit gezweifelt, als er sich den alten Vierundsiebziger als Flaggschiff erbat. Aber sie schien die richtige Wahl zu sein, die einzige. Und nun war sie im letzten Oktober gesunken, nachdem sie im Mittelmeer Bolithos Geschwader gegen eine viel stärkere Streitmacht spanischer Schiffe angeführt hatte, die sein alter Feind, Admiral Don Alberto Casares, kommandierte. Es war ein verzweifeltes Gefecht gewesen, und von den ersten Breitseiten an war der Ausgang völlig ungewiß. Obwohl es unmöglich schien, hatten sie die Spanier schließlich doch geschlagen und sogar einige Prisen mit nach Gibraltar gebracht.
    Aber die alte
Hyperion
hatte dabei ihr Letztes gegeben. Mit ihren dreiunddreißig Jahren leistete sie schließlich keinen Widerstand mehr, als die große spanische
San Mateo
mit ihren neunzig Kanonen eine letzte Breitseite auf sie abfeuerte. Doch trotz allem, was Bolitho in seinem Leben auf See erlebt und erlitten hatte, konnte er sich nur schwer damit abfinden, daß es die alte
Hyperion
nicht mehr gab.
    Daheim in England sagten sie, wenn er das spanische Geschwader Casares’ nicht im Gefecht aufgehalten und besiegt hätte, wäre es rechtzeitig zur Vereinigten Flotte vor Trafalgar gestoßen, und dann hätte selbst der tapfere Nelson dort kaum siegen können. Bolitho wußte nicht, wie er darauf reagieren sollte. Wollte man ihm damit schmeicheln – oder Nelsons Ruhm schmälern? Jedenfalls war ihm übel geworden, als dieselben Leute, die Nelson einst gehaßt und verachtet hatten – auch wegen seiner Affäre mit Emma Hamilton –, ihn jetzt aufs höchste lobten und seinen Tod beklagten.
    Wie so viele, war auch Bolitho dem kleinen Admiral nie begegnet, der seine Seeleute begeistert hatte, trotz des zermürbenden Blockadedienstes oder bei blutigen Gefechten Schiff gegen Schiff. Nelson hatte seine Männer wirklich gekannt und ihnen die Autorität gegeben, die sie verstanden und brauchten.
    Bolitho merkte, daß Allday leise die Kajüte verließ, und machte sich wieder Vorwürfe, daß er ihn mitgenommen hatte zu diesem Einsatz. Doch Allday, standfest wie eine englische Eiche, wollte es nicht anders. Bolitho hätte ihn nur verletzt und beleidigt, wenn er ihn als Halbinvaliden in Falmouth zurückgelassen hätte.
    Er berührte sein linkes Lid und seufzte. Würde ihn das verletzte Auge im hellen afrikanischen Sonnenlicht quälen? Nur zu gut konnte er sich an den Augenblick im Gefecht erinnern, als er in die Sonne geschaut und sein Blick sich verschattet hatte, als krieche Seenebel übers Deck. Und an den triumphierenden Atemzug des Spaniers, der mit seinem Säbel einen Ausfall machte. Jenour, dem Flaggleutnant, war der Degen aus der Hand geschlagen
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