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Mata Hari

Mata Hari

Titel: Mata Hari
Autoren: Enrique Gomez Carrillo
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Verhängnisse, aller Grausamkeiten aus dem Auge. In Briefen an Dichter und Musiker, die in ihrem Auftrage die Inhaltsangaben für die Tänze lieferten, betont sie ausdrücklich den Wunsch, nichts den Launen der Phantasie zu überlassen, sondern sich stets den genauen Regeln eines mythologischen Symbolismus zu unterwerfen. Tatsächlich beanspruchte jede ihrer Pantomimen, als die plastische Verwirklichung irgendeines heiligen Gedichts hingenommen zu werden, entsprechend jenem, das auf dem purpurfarbenen Granitaltar in der Pagode der malabarischen Freudenfeste, in den Nächten der geheimnisvollen Orgien die nackten Bajaderen zeigen als Verkörperung des dreifachen Mythos von Pahvany, Lakmy und Sakty.
    Auf diesem Altar tanzte ich im Alter von dreizehn Jahren zum ersten Male, ganz nackt – so pflegte sie sehr oft zu sagen, um sich im Anschluß daran vor ihren verdutzten Anbetern aller Hüllen zu entledigen.
    In Wahrheit hatte Mata Hari die mystische Orgie im Heiligtum des Shiva nur in Büchern gesehen; freilich wird sie in diesen Büchern die Schilderung nicht ohne ein Gefühl tiefsten Erschauerns und gleichzeitig auch verwandtschaftlicher Sehnsucht betrachtet haben. Denn sie vermitteln tatsächlich mit einem Schlage den Begriff perverser Merkwürdigkeiten und tiefgründiger Widersprüche, diese Schildereien der heiligen Saturnalien, wo die Bajaderen im Tempel des Shiva die ungeheuerlichen Gebräuche des Lingamkultus anwenden, wie uns das die Forscher vergangener Tage getreulich überliefert haben. »Um ein Tabernakel sieht man verteilt in verzückter Stellung, in Schweiß gebadet, keuchend, etwa dreißig nackte Tänzerinnen, denen Priester und Getreue den denkbar höchsten Grad von Hingerissenheit bezeugen. Plötzlich ertönt die Stimme des Obersten der Pundjarys; ihr gehorchen alle diese Frauen sofort. Sie geben ihre Stellungen auf und werfen sich auf die Erde. Es entsteht ein großes Durcheinander von Schenkeln, Armen, Hälsen und Händen. Nur die drei Priesterinnen, in denen die drei Göttinnen der allumfassenden Buhlschaft Fleisch und Blut geworden sind, bleiben aufrecht stehen inmitten dieses zuckenden Menschenknäuels. Niemals, selbst nicht in den tollsten Träumen, hat die Phantasie eines Opiumrauchers etwas so Furchtbares ausbrüten können, das diesem Schauspiel mystischer Sinnlichkeitsraserei, dieser Woge weiblichen Fleisches, wie sie sich der Vergewaltigung durch trunkene Fakire darbietet und mit ihrer Nacktheit einen Rausch zügelloser Bestialität entfesselt, auch nur im entferntesten nahegekommen wäre. Die Geschlechter vermischen sich, die Schreie gehen in Seufzer über und enden schließlich in einem schweren dumpfen Gebrüll. Die drei Apsaras tanzen, als ob sie nichts sehen, ruhig weiter bis zu dem Augenblick, wo die drei Priester, die Vertreter der drei Götter, sich auf sie stürzen, um im Genuß ihrer jungfräulichen Liebkosungen unterzutauchen«.
    So prächtig die Orgien Mata Haris gewesen sein mögen, es ist wohl klar, daß sie mit diesen brahmanischen Festen der Shivapagoden kaum eine Ähnlichkeit gehabt haben können; aber durch das starke Betonen eines sinnlichen Mystizismus verstand sie es, ihre Tänze so geschickt zusammenzustellen, daß selbst die gelehrten Orientalisten sich beugten, wenn sie ganz ernsthaft immer wieder sagte:
    – Dort auf dem purpurnen Granitaltar der Kanda Swany habe ich die Weihe empfangen ...
    Das Einzige, was sie wirklich studiert oder zum mindesten selbst gesehen haben konnte, war der Tanz der kleinen Javanerinnen in den Städten, wo ihr Gatte, als Oberst der Kolonialarmee, in Garnison lag. Und zwischen dieser Kunst, die so zierlich und verschmitzt ist und sich aus stilisierten Gebärden und überlieferten Bewegungen zusammensetzt, und dem rasenden Tanz der malabarischen Apsaras ist ein riesengroßer Unterschied. Wie Götzenbilder aus Gold und Email haben die winzigen Weibchen auf Java oder Sumatra, schüchterne, priesterliche, unberührte Geschöpfe, scheinbar weder Fleisch noch Geist. Sie sind halb abstrakte Verkörperungen vorzeitlicher Riten, die sich durch alle Zeiten unveränderlich erhalten, denn sie vererben ihre Stellungen und Kleidungen, ihre Bewegungen und ihren Kopfschmuck, ihre Spangen und ihr Lächeln durch die Jahrtausende in immer gleichen Formen. Wie in längst verflossenen Epochen die ersten gelben Fürsten sie sahen, genau so sehen wir sie heute. Die Seide war im Okzident noch unbekannt, als sie sich ihre Röcke bereits aus Brokat schufen. Die
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