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Mata Hari

Mata Hari

Titel: Mata Hari
Autoren: Enrique Gomez Carrillo
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Tempel, in deren Vorhöfen sie tanzen, konnten verfallen und einstürzen, ohne daß sie deshalb ihre Schritte auch nur im geringsten änderten. Kurz, sie schienen weder Herz, noch Kopf, noch Leben überhaupt zu haben. Wenn die Berichte ihrer Historiker wirklich zuverlässig sind, zeigen sie nie die geringste Liebesregung.
    Es ist also wenig wahrscheinlich, daß die keuschen Javanerinnen von Benjoe-Biroe oder von Semarang die Anreger für Mata Haris Tänze gewesen sind.
    Man braucht nur zu lesen, was die Anbeter über ihre intimen Feste geschrieben haben, und man ist sofort überzeugt, daß ihre Tänze ganz auf sinnlichen Prunk, Verführung, raffiniertes Wolluststudium eingestellt waren. Was sie an Kleidern trug, mochte es noch so leicht sein, schien sie ständig zu beengen, abgesehen natürlich von ihren Besuchen in den Theatern und in den Salons der Aristokratie. Sowie sie von jeder gesellschaftlichen Bindung frei war, konnte sie nichts Eiligeres tun, als sich ihrer langen Röcke zu entledigen. In ihren allerletzten Zeiten sogar, kaum zwei oder drei Tage bevor sie erschossen wurde, wollte sie in einem Anfall satanischer Besessenheit, die sich austoben mußte, noch einmal das Schauspiel ihrer nackten Schönheit bieten und sie begann in ihrer Zelle zu tanzen, bis die barmherzigen Schwestern, die im Gefängnis von Saint-Lazare den Dienst versahen, von einem der Wächter aufmerksam gemacht, herbeieilten und die sündige Regung bannten.
    Wer eine ganz genaue Vorstellung der heiligen Tänze Mata Haris haben will, findet Ausführliches darüber in einem Roman. Er gibt die Beschreibung eines Festes, das 1917 im Palais der Herzogin von Eckmüll stattfand und dessen Glanznummer die nackte Bajadere war. Man lese nach:
    »Einzig die kleinen Brüste waren bedeckt, und zwar mit zwei Schutzkuppeln aus ziseliertem Kupfer, die an dünnen Ketten hingen. Spangen mit blinkenden Steinen legten sich um die Handgelenke, die Oberarme und die Knöchel an den Füßen. Alles übrige war nackt, vielsagend nackt, von den Fingernägeln bis zu den Fußspitzen. Beherrscht von den edelsten Halslinien formte der plastische und kernige Leib seine zwitterhafte Biegsamkeit zwischen den symmetrischen Kurven, die von den offenen Achselhöhlen unter den erhobenen Armen auf die Rundung der Hüften sich herabsenkten. Die vollendet schönen Beine standen da wie zwei herrliche Säulen einer Pagode. Die Kniescheiben glichen zwei Lilienknospen. Die Muskeln spannten sich. Alles war weiß, fast gelblich, ambraartig, mit goldigen Schimmern und rosigen Reflexen bestreut, während, getragen von dem Doppelkapitäl der sanft geschwellten Schenkel, das schmale Becken wie aus Elfenbein sich darbot. Nach einer letzten Beschwörung in Schlangenwindungen wandte Mata Hari sich lächelnd zu dem eingeschlafenen Gott und berührte flehend dreimal mit dem Kopf die Erde. Dann mit ganz, ganz langsamer Drehung um sich selbst schob sie mit demselben langsamen Rhythmus die breite Metallspange vom linken Handgelenk. Und nun sah man an derselben Stelle einen natürlichen Reif, der zart auf die matte Goldhaut tätowiert war. Er bildete eine Schlange, die sich in den Schwanz beißt«.
    Aber wie soll man sich nur das echt Indische in der sinnlichen und mystischen Kunst dieser Bajadere erklären? In ihrer Familie, rein holländischer Abstammung, war niemals ein Tropfen exotischen Blutes nachweisbar. Mit ihrem Gatten hielt sie sich nur eine Zeitlang auf Java und Sumatra auf, und bei ihrer gesellschaftlichen Stellung hatte sie vielleicht niemals Gelegenheit die eingeborenen Tänzerinnen zu sehen. Demnach müssen wir also annehmen, daß sie ihre Kunst auf rein akademischem Wege erlernt hat? Offenbar. Und nichtsdestoweniger zwingt uns auch hier das verflixte Fragezeichen, das überall im Bereich dieser Frau auftaucht, zu dem bohrenden Forschen, wie es möglich war, daß eine Europäerin, eine Friesin, ein Sproß der gediegenen Matronen, wie wir sie auf den Bildern Rembrandts sehen, bis zum Physischen das hat sein können, was sie war. Denn in diesem Punkte stimmen alle, die sie kannten, überein. Sie erklären insgesamt, ihre Schönheit wäre wirklich die reinste Verkörperung des asiatischen Typus gewesen, kupfern, mit großen feurigen Augen und kohlrabenschwarzen Haaren. Auch ihrem Arzt im Gefängnis von St.-Lazare fiel es, obgleich an ihrer echt holländischen Geburt nicht der geringste Zweifel bestand, außerordentlich schwer, sie nicht für eine beglaubigte Bajadere aus der
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