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Masken der Lust (German Edition)

Masken der Lust (German Edition)

Titel: Masken der Lust (German Edition)
Autoren: Noelle Mack
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Schenkels und kämpfte mit den Tränen.
    «Ist alles in Ordnung mit dir?», fragte Al besorgt. «Vincent, übernimm du. Sarah, spiel Doktor.»
    «Na, komm, Lucy», sagte sie. «Flicken wir dich mal zusammen. Du musst aber nicht in die Notaufnahme, oder?»
    «Es ist nicht – nicht so schlimm», schniefte Lucy. «Aber es tut weh.»
    Sie gingen zur Damentoilette und schnappten sich unterwegs den Erste-Hilfe-Kasten von einem Regal. Colly Simmons, der auf Tuben mit Ölfarben herumdrückte, wie alte Damen Obst zu drücken pflegen, drehte sich gerade rechtzeitig um, um sie vorbeigehen zu sehen. Sarah ging schneller und zerrte Lucy fast schon hinter sich her.
    «Ich sagte doch, so schlimm ist es nicht.»
    Sarah betrat die Damentoilette und schloss die Tür vor Collys leidenschaftlichem Geglotze.
    Wie kam es, dass gerade die Männer, die man am wenigsten begehrte, vor Lust auf einen zu brennen schienen? Sarah sang im Geist Marco, Marco, Marco vor sich hin. Ihre Gedanken an ihn verblassten nie, nur könnte sie sich jetzt dafür in den Hintern treten, dass sie ihm das Anrufen und E-Mailen verboten hatte.
    Sie verarztete Lucy, bewunderte im Zuge dessen die Tätowierung – einen großen, auf Lucys Muschi weisenden Pfeil – und verließ mit ihr die Toilette.
    Colly stand noch genau dort, wo er zuvor gestanden hatte.
    «Entschuldigung», sagte Sarah kalt. Der König der Neuen Figurativen Malerei bewegte sich nicht. Seine untere Gesichtshälfte dehnte sich zu einem breiten Grinsen aus. «Hey. Entschuldigung», wiederholte Sarah.
    Colly trat vor und versperrte den beiden Frauen den Weg. «Seid ihr Lesben? Finde ich echt irre. Ich habe viele lesbische Freundinnen. Du solltest wirklich Modell für mich sitzen, Sarah. Du auch», sagte er zu Lucy, deren Unterlippe bebte.
    «Leck mich, Colly», erwiderte Sarah. Sie stemmte die Hände in die Hüften und richtete einen stählernen Blick auf ihn, vor dem er zurückweichen sollte.
    «Jederzeit», sagte er.
    Es reichte. Sie versetzte ihm einen ordentlichen Schubs, und Colly flog auf den farbbefleckten Hosenboden seiner ausgebeulten Jeans.
    Als Sarah über ihn hinwegsteigen wollte, griff er nach ihrem Fußgelenk. Lucy langte nach einer Plastikflasche Acrylfarbe, ließ die Kappe aufschnappen und bespritzte ihn mit dicken Klecksen. Colly schrie sich die Seele aus dem Leib, als Al in den Gang trat. Lucy verpasste ihrem Chef einen versehentlichen Spritzer aus der Farbflasche und bat ihn unterwürfig um Verzeihung.
    «Was, zum Teufel, ist hier los? Colly, was haben sie mit dir gemacht? Lucy, stell das weg!»
    Die Kassiererin spritzte ihn wieder an, ohne es zu wollen. Die Farbflasche stand unter solchem Druck, dass sie sich mit kräftigem Stoß entlud.
    Colly wollte noch einmal nach Sarahs Bein greifen, woraufhin sie ihm auf die Hand trat. «O mein Gott!», kreischte er. «Au!»
    «Halt die Klappe, Colly», zischte sie. «Ich habe dir nichts gebrochen. Das werde ich aber beim nächsten Mal.»
    «Ein nächstes Mal wird es nicht geben, Sarah Ryan», schrie Al. «Und diesmal kannst du nicht kündigen. Du bist gefeuert.»
    «Okay. Arbeitsamt, ich komme!»

    Nicht gerade umwerfend für einen Schlachtruf. Sarah stand in einer langen Schlange und sah die anderen vor sich Zentimeter für Zentimeter voranschlurfen. Sie erinnerten sie an Sünder aus Dantes Inferno . Ein kalter Tag im Spätwinter in einem New Yorker Arbeitsamt kam der Hölle schon recht nahe.
    Sie hatte keine Abfindung bekommen. Vincent hatte ihr einen Fünfziger zugesteckt, aber sie konnte ihn nicht auch noch anschnorren. Sarah bedauerte ihr Handeln nicht, doch jetzt hätte sie gern Marcos Arme um sich gehabt, hätte sich gern an seiner Schulter ausgeheult, ihm gesagt, er solle das Datum auf dem Flugschein vorziehen, und ihm das Geld irgendwann später zurückgezahlt.
    Verdammter Mist, sie hatte keine Möglichkeit, ihm rasch eine Nachricht zukommen zu lassen. Sein Palazzo hatte zwar eine Hausnummer, aber sie war sich nicht sicher, ob sie sie richtig behalten hatte. Venezianische Anschriften waren kompliziert, jeder wusste das. Man musste schon vor Ort sein, um irgendetwas zu finden.
    Doch das war sie nicht. Rette mich, richtete sie eine lautlose Bitte an die fleckige Deckenverkleidung. Ein Stückchen davon bröckelte ab und traf sie beinahe ins Auge.
    Hey, vielleicht war sie ja durchgekommen.

    Als sie nach Hause kam, lehnte ein Paket an ihrer Wohnungstür. Auf einem mit Klebeband befestigten Zettel stand eine wenig ermutigende
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