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Martha's Kinder

Martha's Kinder

Titel: Martha's Kinder
Autoren: Bertha von Suttner
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heute findet man nur viertel, achtel, hundertstel –«
    »Nicht einmal halbe gibst Du zu?«
    »O, Halbheit in anderem Sinne, auf die stößt man nur zu oft. Ernstlich, Du hast eine zu gute Meinung von mir, Sylvia. Du weißt doch, daß ich eine Aufgabe habe, und weißt, wie wenig ich noch die Kraft fand, sie zu erfüllen, Du weißt –«
    »Nicht die Kraft,« unterbrach Sylvia, »die Möglichkeit hat Dir gefehlt.«
    »Auch die. Hoffentlich wird es größere, weitere Möglichkeiten geben, wenn mein Friedrich erwachsen ist. Sein Feld wird das zwanzigste Jahrhundert sein, und von dem erwarte ich die Erfüllung großer Dinge.«
    »Du bist heute ganz Zukunft, Rudi,« sagte Delnitzky; »da folge ich Dir nicht, denn die Gegenwart ist nur viel zu schön.«
    Sylvia warf ihm einen Blick Zu, mit dem sie ihm das Weiterreden verwehrte. Offenbar war es ihr unerwünscht, daß Rudolf in diesem Augenblick erfahre, was Delnitzkys Gegenwart so sehr verschönte.
    In einer anderen Ecke standen der Oberst von Schrauffer, Doktor Bresser und der Pfarrer im Gespräch.
    »Ein hübscher Junge, Ihr Sohn, Herr Doktor,« sagte der Pfarrer, »dem wäre die Uniform gutgestanden – warum haben Sie ihn nicht zum Militär gegeben?«
    Pater Protus war eine Zeitlang Feldkaplan gewesen und hatte sich eine große Vorliebe für die Angehörigen des Militärs bewahrt. Die Erinnerung an die in Gesellschaft fröhlicher Offiziere zugebrachten Stunden gehörte zu seinen liebsten Erinnerungen. Zweiunddreißig Jahre alt, aufgeweckten Geistes, lern- und lebenslustig, war er von jeglichem Sektengeist, von jeglicher muckerischer Strenge weit entfernt. Als Gesellschafter war er allgemein beliebt. Er wußte ebensowohl auf Scherze einzugehen, als an wissenschaftlichen Diskussionen teilzunehmen. Natürlich hatten seine Freunde den Takt, dem Priester gegenüber bei Scherzen keinen zu frivolen, bei Diskussionen keinen glaubensverletzenden Ton anzuschlagen. Ebenso zurückhaltend war Pater Protus: im gesellschaftlichen Verkehr schlug er niemals einen lehrhaften, bekehrenden Ton an. Ob er nicht auch selber in seinem Innern mit manchen Dogmen gebrochen, das konnte aus seinen Äußerungen niemals hervorgehen, doch lag in seiner Art, mit notorisch freidenkenden Menschen umzugehen, ein Zug stillschweigender Achtung.
    »Ein hübscher Junge, Ihr Sohn,« sagte er zu Doktor Bresser, »dem wäre die Uniform schön gestanden, warum haben Sie ihn nicht zum Militär gegeben?«
    »Gegeben? Ich? Er hat sich seinen Beruf selber gewählt. Er ist Schriftsteller.«
    »So – o?« machte der Oberst. »Ist denn das überhaupt ein Beruf?«
    »Ich sollte meinen, einer der allerschönsten,« bemerkte Pater Protus. »Und ich denke, Schriftstellerei kann man doch nur so nebenbei betreiben; es ist ja doch keine Karriere – mit regelmäßigem Vorrücken, mit gesichertem Erwerb«
    »Das freilich nicht. Aber da mein Sohn von seiner Mutter ein genügendes, selbständiges Vermögen geerbt hat –«
    »Ich verstehe,« unterbrach der Oberst, »so privatisiert er.«
    »Im Gegenteil – er hat sich die breiteste Öffentlichkeit als Lebensweg gewählt: er ist Schriftsteller und Journalist.«
    »Journalist? – Also der Beruf der Leute – ich glaube Bismarck hat ihn so genannt – die ihren Beruf verfehlt haben?«
    »Ich finde den Journalismus einen sehr schönen Beruf,« fiel der Pfarrer lebhaft ein. »Ein lieber, sehr geschätzter Freund von mir schreibt die Kunst- und Musikreferate für die Neue freie Presse –«
    »Es nimmt mich Wunder, daß ein geistlicher Herr das bekannte Judenblatt –«
    »O, ich stehe nicht auf dem antisemitischen Standpunkt, Herr Oberst. Und für welche Zeitung arbeitet Ihr Sohn, Doktor Bresser?«
    »Für zehn verschiedene. Doch vom künftigen Oktober ab wird er eine Stelle als ständiger Redakteur eines neugegründeten politischen Blattes antreten.«
    »Hoffentlich ein gutgesinntes ... Einerlei: als Leutnant... jetzt könnte er auch schon Oberleutnant sein – wäre mir Ihr Sohn doch lieber, wie als – verzeihen Sie – als Federfuchser. Hätten Sie ihn rechtzeitig in eine Militärakademie gesteckt ... Aber Sie sind ja ein alter Freund der Baronin Tilling – folglich ein geschworener Militärfeind –«
    »Militarismusfeind«, verbesserte Bresser.
    »Das bleibt sich gleich. Wenn einer eine Sache nicht mag, so fügt er ihrem Namen ein gehässiges »ismus« an. Nicht wahr, Herr Pfarrer, die Feinde der Kirche sagen auch beileibe nicht, daß sie etwas gegen die Religion oder gegen
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