Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Martha's Kinder

Martha's Kinder

Titel: Martha's Kinder
Autoren: Bertha von Suttner
Vom Netzwerk:
inneren Auge. Aber nicht in jener im Traum entstandenen, altersmüden Gestalt, sondern wie er in seiner Vollkraft gewesen an dem Tage, da er unter den Kugeln des Exekutions-Pelotons zusammenfiel.

II.
    Rudolf Graf Dotzky, geboren 1859, wenige Monate vor Ausbruch des italienisch-österreichischen Krieges, in dem sein Vater den Tod fand, zählte jetzt dreißig Jahre. Besitzer des ausgedehnten Dotzkyschen Majorats, hatte er keinen andern praktischen Beruf als die Bewirtschaftung seiner Güter. Daneben hatte er sich aber noch einen idealen Beruf erwählt, dem sein Lernen, Denken und Streben galt: nämlich die Aufgabe zu erfüllen, welche Friedrich Tillings Vermächtnis war: die Bekämpfung der Kriegsinstitution. Die eigentliche Erbin dieses Vermächtnisses war freilich Tillings Witwe, doch freiwillig hatte sich Rudolf zum Mitarbeiter seiner Mutter herangebildet. Das zu Friedrichs Lebzeiten angelegte »Protokoll« – ein Einschreibebuch, in das die Fortschritte der Friedensidee und -Bewegung eingetragen waren, wurde zuerst von Martha, dann von Rudolf weitergeführt. Die von dem Elternpaar zusammengetragene Bücherei natur- und sozialwissenschaftlicher Werke fand in ihm einen eifrigen Studenten und Mehrer.
    Allerdings mußte daneben das obligate Studium der offiziellen Schulgegenstände absolviert werden; auch das Freiwilligenjahr hatte er ausdienen müssen. Dann kam die Erbschaft des Dotzkyschen Majorats, wodurch dem jungen Mann die Notwendigkeit erwuchs – wollte er anders den Pflichten des Großgrundbesitzes gerecht werden – ernstliche Landwirtschaftsstudien zu betreiben – all das ergab eine bedeutende Ablenkung von jenem idealen Beruf.
    Auch kam eine Zeit, da er durch den Umgang mit seinen Alters- und Standesgenossen in einen Wirbel von weltlichen und sportlichen Vergnügungen gerissen wurde, wobei die Beschäftigung mit seiner Lebensaufgabe stark zur Seite geschoben ward. Sogar die Gesinnungen, die dieser Aufgabe als Grundlage dienten, waren durch den Einfluß der ganz entgegengesetzten feudalen, chauvinistischen und reaktionären Ansichten, die in seiner Umgebung herrschten, momentan ins Schwanken geraten und hatten Gefahr gelaufen ganz unterzugehen, wären sie nicht schon so tief in seiner Seele geankert gewesen, und wenn der niemals ganz aufgegebene innige Verkehr mit der Mutter ihm nicht immer wieder die Ideale aufgefrischt hätte, für die er wirken wollte – später, später, bis er zur Ruhe käme.
    Und er kam bald zu Ruhe. Das schale Leben der »goldenen Jugend«, mit den ewigen Trinkgelagen und ewigen »kleinen Jeux«, mit den abwechslungslosen Jagd-, Rennstall- und Koulissengesprächen ekelte ihn bald an. Es zog ihn zurück zu seinen Büchern und zu seinen gutsherrlichen Pflichten. Schon im Alter von vierundzwanzig Jahren hatte er sich von dem Treiben seiner Genossen losgerissen. Er zog sich auf Brunnhof – die größte und schönste seiner Domänen – zurück und lud seine Mutter und Schwester ein, bei ihm zu wohnen.
    Hier widmete er sich wieder mit verdoppeltem Eifer seinen beiden Berufen – dem einen mit ausübender, dem anderen mit vorbereitender Arbeit. Er unterbrach dieses einsame Landleben nur durch einige Reisen nach Paris, London und Italien. Denn er sah wohl ein, daß man ein Stück Welt gesehen haben müsse, wenn man einst öffentlich wirken wollte.
    Das Gebiet seiner Aufgabe hatte sich ihm unversehens stark erweitert. Ursprünglich war es nur die eine – von Tilling überkommene Idee – Bekämpfung der Kriegsinstitution – die ihm als Ziel vorgeschwebt, aber allmählich kam er zur Überzeugung, daß jeder Zustand, jede Einrichtung mit allen anderen Zuständen und Einrichtungen in vielfacher Wurzelverschlingung verbunden ist, und da begann er, sich in andere Probleme zu vertiefen und andere Bewegungen zu verfolgen; überall lauschte er hin, wo ein neuer Geist die alten Formen sprengen wollte. Je weiter er vorwärts drang, desto zahlreicher eröffneten sich ihm immer wieder neue Forschungsfelder. Die Fülle der auf ihn einstürmenden Gedanken und erwachenden Erkenntnisse hinderte ihn daran, sich auf irgend eine bestimmte Aktion zu konzentrieren. Erst mußte er lernen und noch lernen, erst mußte sein gärender Geist Klärung gewinnen, ehe er daran gehen konnte, tätig in das Räderwerk des öffentlichen Lebens einzugreifen. »Später, später!« rief er sich zu und hatte vorläufig darauf verzichtet, sich politisch oder publizistisch zu betätigen. Er bewarb sich nicht um den
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher