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Marter: Thriller (German Edition)

Marter: Thriller (German Edition)

Titel: Marter: Thriller (German Edition)
Autoren: Jonathan Holt
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Bistrot de Venise gefeiert, einem der besten Restaurants der Stadt. Folglich trug er ausgerechnet seine besten Schuhe, ein neues Paar von Bruno Magli. Sobald er nahe genug herangekommen war, sprang er auf die Marmortreppe zur Kirche und stellte sich auf die Stufe über dem Leichnam. Anschließend hielt er kurz inne, um sich das Wasser von den Füßen zu schütteln, vielleicht konnte er die Schuhe ja doch noch retten.
    Der Leichnam lag halb auf der Treppe, halb im Wasser, als hätte das Opfer noch versucht, sich aus dem Meer in die Obhut der Kirche zu retten. Vermutlich war das der Flut zu verdanken, die bereits wieder ein Stück zurückzuweichen begann bis hin zu dem Gehsteig, der die Kirche für gewöhnlich vom Canale di San Marco trennte. Der tote Körper war unübersehbar in das schwarz-goldene Messgewand eines katholischen Priesters gekleidet, und ebenso deutlich waren die beiden Einschusslöcher am Hinterkopf zu erkennen, aus denen eine bräunliche Flüssigkeit auf den Marmor sickerte.
    »Kann die Tat hier begangen worden sein?«, erkundigte Piola sich.
    Hapadi schüttelte den Kopf. »Das bezweifle ich. Ich nehme an, die Flut hat den Leichnam aus der Lagune hier angespült. Wenn das Hochwasser nicht gewesen wäre, wäre er inzwischen gewiss schon auf halbem Wege nach Kroatien.«
    Piola dachte über diese Worte nach. Wenn dem so war, dann unterschied sich der Leichnam so gut wie nicht von dem restlichen Müll, der in der Stadt tagtäglich angespült wurde. Das Meerwasser um sie herum roch ganz leicht nach Abwasser: Nicht alle Klärgruben in Venedig waren absolut dicht, und einige Bewohner der Stadt nutzten die Flut als Gelegenheit, sich die übliche Gebühr für das Entleeren zu sparen. »Wie hoch war der Pegelstand heute Abend?«
    »Eins vierzig, wenn auf die Anzeigen Verlass ist.« Das elektronische Warnsystem, das die Bewohner Venedigs über bevorstehendes acqua alta informierte, gab auch Auskunft über die Wasserhöhe – zehn Zentimeter über dem Meter für jeden einzelnen Ton, den die Sirene von sich gab.
    Piola beugte sich nach unten, um sich das Ganze aus der Nähe anzusehen. Der Priester, wer auch immer er war, war sehr schlank. Piola war versucht, ihn umzudrehen, aber ihm war klar, dass er den Zorn der Spurensicherung auf sich ziehen würde, wenn er dies tat, ehe sie alles fotografiert hatten.
    »Nun«, meinte er nachdenklich. »Er ist irgendwo weiter östlich oder südlich erschossen worden.«
    »Möglich. Doch in einem Punkt liegen Sie auf jeden Fall falsch.«
    »Womit denn?«
    »Sehen Sie sich mal die Schuhe an.«
    Vorsichtig schob Piola einen Finger unter die durchnässte Soutane und hob sie vom Bein des Priesters hoch. Der Fuß war klein, fast schon zierlich, und der Lederschuh daran war eindeutig ein Damenschuh.
    »Haben wir hier etwa eine Transe?«, fragte er verblüfft.
    »Nicht ganz.« Hapadi erweckte fast den Eindruck, als hätte er Spaß an diesem Ratespiel. »Gut, jetzt den Kopf.«
    Piola musste dazu tief in die Hocke gehen, sodass er mit dem Hintern beinahe das heranschwappende Wasser berührte. Die Augen der Leiche waren geöffnet, die Stirn ruhte auf der Stufe, als wäre der Priester gestorben, während er einen Schluck von dem Meerwasser trinken wollte. Während Piola den Anblick auf sich wirken ließ, schwappte eine kleine Welle über das Kinn des Leichnams und drang in den offenen Mund ein, ehe das Wasser wieder zurückwich und ein Rinnsal hinterließ, das aus dem Mundwinkel sickerte.
    Dann dämmerte es Piola. Das Kinn war vollkommen glatt, es waren keine Stoppel zu sehen, und die Lippen waren viel zu rosig. »Heilige Mutter Gottes«, stieß er überrascht hervor. »Das ist ja eine Frau.« Unwillkürlich bekreuzigte er sich.
    Es bestand kein Zweifel – die geschwungenen Brauen und die Lidstrichspur um die leblosen Augen herum, die femininen Wimpern; und da, ein schlichter Ohrring, der durch eine verirrte Strähne halb verdeckt war. Sie musste um die vierzig sein, hatte aufgrund ihres Alters keine sonderlich schmalen Schultern, weshalb es ihm nicht auf Anhieb aufgefallen war. Nachdem er sich von dem Schock erholt hatte, berührte er das durchnässte Messhemd. »Ziemlich realistisch für eine Verkleidung.«
    »Wenn es sich denn tatsächlich um eine Verkleidung handelt .«
    Neugierig betrachtete Piola sein Gegenüber. »Wie kommen Sie denn auf die Idee, es könnte anders sein?«
    »Welche Frau würde es hier in Italien schon wagen, als Priester verkleidet auf die Straße zu gehen?«,
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