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Marter: Thriller (German Edition)

Marter: Thriller (German Edition)

Titel: Marter: Thriller (German Edition)
Autoren: Jonathan Holt
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erwartet dich dort bereits. Viel Glück. Und denk dran, dafür schuldest du mir was.« Damit legte er auf.
    Sie warf einen Blick aufs Display. Noch keine Spur von der Adresse, aber wenn der Tatort in der Nähe der Kirche Santa Maria della Salute lag, dann würde sie ein Vaporetto nehmen müssen. Doch selbst dann würde sie mindestens zwanzig Minuten brauchen, vorausgesetzt, sie fuhr nicht erst nach Hause, um sich umzuziehen. Das war allerdings zwingend nötig angesichts der Kleidung, die sie trug. Verdammt, dachte sie, dafür bleibt keine Zeit. Sie würde einfach ihren Mantel bis oben hin zuknöpfen und dann hoffen, dass Piola sich nicht allzu sehr über ihre nackten Beine oder ihr Make-up wunderte. Schließlich war heute La Befana – Heilige Drei Könige und zugleich der Festtag für die alte Hexe, die den Kindern Süßigkeiten oder Kohlestücke brachte, je nachdem, ob sie brav gewesen waren oder nicht. Die gesamte Stadt war heute auf den Beinen und vergnügte sich im Partygetümmel.
    Wenigstens hatte sie auch ihre Gummistiefel mitgebracht. Jeder tat das: Die winterlichen Fluten, der Schnee und der Vollmond hatten dafür gesorgt, dass in Venedig acqua alta herrschte, jene wiederkehrenden Hochwasserfluten, die die Stadt mittlerweile jedes Jahr aufs Neue heimsuchten. Zwei Mal am Tag stieg der Wasserpegel um mehrere Fußbreit an und überschwemmte Straßen und Plätze. Die Kanäle traten über die Ufer; der Markusplatz – der tiefste Punkt der Stadt – verwandelte sich in einen See aus Meerwasser, eine dreckige Brühe, auf der Zigarettenstummel und Taubenkot schwammen. Selbst wenn man sich auf den Holzstegen bewegte, die die Stadtverwaltung hatte aufbauen lassen, musste man immer wieder durch Wasser waten.
    Sie spürte, wie das Adrenalin durch ihre Eingeweide schoss. Seit sie zum Capitano befördert worden war, hatte sie darauf gehofft, endlich einen Mordfall zugeteilt zu bekommen. Und wenn sie Glück hatte, war es nun endlich so weit. Man hätte diesen Fall nicht Colonnello Piola überantwortet, wenn es sich wieder mal nur um einen besoffenen Touristen handeln würde, der in einem der Kanäle ertrunken war. Und das bedeutete, dass sie doppelt Glück gehabt hatte: Ihre erste große Ermittlung würde sie unter der Leitung des Colonnello durchführen, den sie am meisten bewunderte.
    Kurz überlegte sie, ob sie zurück in die Bar gehen sollte, um Eduardo oder Gesualdo zu erklären, dass sie überraschend zur Arbeit gerufen worden sei. Vielleicht konnte sie noch schnell seine Telefonnummer ergattern, ehe sie abhaute. Doch dann entschied sie sich dagegen. Als Reisebürokauffrau wurde man nur selten um zehn Minuten vor Mitternacht ins Büro zitiert – und erst recht nicht an diesem Feiertag. Sie hätte ihm erklären müssen, warum sie Zufallsbekanntschaften wie ihm nicht verriet, dass sie in Wirklichkeit eine Beamtin der Carabinieri war. Und dann hätte sie ihn in seinem verletzten Stolz trösten müssen, wofür sie gerade wirklich keine Zeit hatte.
    Außerdem, wenn es sich hier tatsächlich um Mord handelte, dann würde sie in den kommenden paar Wochen sowieso keine freie Minute haben, um seine Anrufe zu erwidern oder sich mit ihm zu treffen. Eduardo oder Gesualdo würde sein Glück ganz einfach bei jemand anders versuchen müssen.
    Abermals vibrierte ihr Handy, als die SMS von Francesco mit der Adresse einging. Sofort schlug ihr Herz schneller.
    Colonnello Aldo Piola starrte auf den Leichnam. Wie gern hätte er seinen vor einer Woche gefassten Neujahrsvorsatz gebrochen und sich eine Zigarette angezündet. Aber es war ihm ohnehin nicht erlaubt, hier eine zu rauchen. Erst waren die von der Spurensicherung dran.
    »Ein piovan ?«, fragte er verwundert und benutzte das venezianische Slangwort für »Priester«.
    Dr. Hapadi, der Gerichtsmediziner, zuckte mit den Schultern. »So hieß es zunächst. Aber es steckt doch etwas mehr dahinter. Wollen Sie sich das genauer ansehen?«
    Widerstrebend trat Piola von dem erhöhten Gehsteig herunter in den kniehohen Schlamm und stapfte vorsichtig auf den Lichtkreis zu, der von Hapadis tragbarem Generator ausging. Die blauen Plastikschuhe zum Überziehen, die der Doktor ihm bei seinem Eintreffen hingehalten hatte, waren sofort von eisigem Meerwasser durchdrungen gewesen, obwohl er sie mit Gummibändern an den Unterschenkeln befestigt hatte. Wieder ein Paar Schuhe ruiniert , seufzte er im Stillen. Eigentlich hätte ihm das nichts ausgemacht, aber er und seine Frau hatten mit Freunden im
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