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Marshall McLuhan

Marshall McLuhan

Titel: Marshall McLuhan
Autoren: Douglas Coupland
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Sauerstoffbedarfs und 25 Prozent der Zuckerverwertung. Der allein zum Überleben benötigte Energieverbrauch des Gehirns liegt bei 0,1 Kalorien pro Minute, wobei er während der Lösung eines Kreuzworträtsels bis zu 1,5 Kalorien pro Minute (100 W) betragen kann. Patrick R. Hof und Charles V. Mobbs, Hrsg.,
Functional Neurobiology of Aging
(New York: Academic Press, 2000).
    5
    All diese Autoren werden heute noch durchgenommen, aber man kann sich schwer vorstellen, an einem Ort und in einer Zeit zu leben, in der sie die Einzigen waren. Ich komme mir manchmal vor wie ein Marsmensch, wenn ich sehe, was die Menschen früher gelesen, gelernt und gedacht haben – wofür sie sich begeisterten, was ihnen wichtig war. Die einzige Faustregel ist die: Universitätsleitungen kommen und gehen, es wird denunziert, Karrieren werden zerstört, Rechnungen beglichen, Menschen sterben, ein Buch wird verfilmt, Moden kommen und gehen, Biographien setzen Schimmel an. Währenddessen behandelt jede neue Generation die Vergangenheit wie eine Schachtel Weihnachtsschmuck, die vom Dachboden geholt wird: Die Entscheidung, was erhalten bleibt und was nicht, beruht auf einer Folge von Ereignissen, die dem willkürlichen Auswahlverfahren von Reality Shows im Fernsehen in nichts nachsteht.
    6
    Nordamerikanische Studenten, die in den dreißiger Jahren ein Grundstudium in Cambridge oder Oxford absolvieren wollten, brauchten als Qualifikation ein bereits abgeschlossenes Studium. Erst dann durften sie ihren Bachelor in Englisch im Schnellstudium machen. Gängelei?
Oui
.
    Er (fand) Wörter für sein Schatzhaus … unvermittelt in den Läden, auf Anzeigen, im Mund der schwerfällig trottenden Öffentlichkeit.
    Er sagte sie so oft vor sich hin, bis sie allen automatischen Sinn für ihn verloren hatten und zu wundervollen Vokabeln wurden.
    James Joyce
    7
    Okay, da diese Informationen hauptsächlich aus Wikipedia stammen, ist dies ein guter Moment, von meinem Verhältnis zu Wikipedia zu erzählen. Eines Abends sah ich
Marie Antoinette
von Sofia Coppola auf DVD und hatte nach zwei Minuten das Gefühl, einen Auffrischungskurs über Ludwig XVI. zu brauchen. Also wikipediatete ich ihn und druckte das Ergebnis aus. Ich setzte mich aufs Sofa, fing an zu lesen, bis auf der dritten Seite stand: »Was die meisten Menschen nicht wissen, ist, dass Ludwig XVI. und Marie Antoinette noch ein viertes Kind hatten, einen Jungen, dessen Haut so plastikartig und glänzend war, dass sie ihn nach Nordamerika verschifften, wo er von dem renommierten amerikanischen Filmemacher Paul Thomas Anderson adoptiert wurde.« In dem Stil ging es weiter. Diese Sätze zu lesen, war eine vollkommen irre Erfahrung, als wäre ich aus Versehen in das kulturelle Unterbewusstsein der Welt geschlüpft, als könnte ich sehen, wovon Maschinen träumen.
    Man kann sich denken, dass Marshall entsetzt über Wikipedia gewesen wäre, und nicht nur, weil es eine relativ neue Technologie ist und deswegen reflexartig verabscheut werden muss. Vielmehr ist Wikipedia ein weiteres Beispiel dafür, wie das Internet die Sprache verschandelt und zwangsläufig in eine dystopische Zukunft führt. (Frage: War die Zukunft jemals nicht dystopisch? Außerdem treiben sich neben Vandalen Gott sei Dank auch
    Bibliothekare im Internet herum und berichtigen Fehler und Unstimmigkeiten.)
    Andererseits ist die Sache so: Es spielt keine Rolle, ob ich, als Biograph, in die Bücherhalle fahre und den ganzen Tag dort abhänge – am Ende bekomme ich dieselben Informationen, die ich zu Hause online gefunden hätte. Bekomme ich für die Recherche »vor Ort« einen Herkunftsnachweis? Muss ich Benzinquittungen vorzeigen und meinen Kilometerstand dokumentieren, um gut dazustehen? Das rückt den Begriff »Biographie« in ein neues Licht. Jeder von uns kann von einem Link zum anderen springen – und so machen es heutzutage ja auch die meisten. Warum also eine Biographie schreiben? Vielleicht um ein Bewusstsein dafür zu bekommen, wie es sich angefühlt hat, jemand anderes in einer anderen Zeit zu sein. Vielleicht um neues Licht auf ein altes Thema zu werfen. Vielleicht um neue Denkweisen kennenzulernen. Vielleicht um eine schon vom Verschwinden bedrohte Sichtweise auf die Vergangenheit einzunehmen, der Idee, dass man eine Landschaft am besten betrachtet, wenn sie von nur einer Quelle beleuchtet wird – der Sonne, einer Glühbirne, einer einzelnen Kerze, einem einzelnen Autor –, so dass alle Schatten und Schlaglichter miteinander
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