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Mark Bredemeyer

Mark Bredemeyer

Titel: Mark Bredemeyer
Autoren: Runenzeit 1- Im Feuer der Chauken (German Edition)
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ihrer Aussaat ableiteten.
    Zwischen den Zauberinnen war der Boden mit einem komplizierten Muster aus Steinen und Stäben bedeckt. Jede von ihnen saß vor einer schmalen, fast mannshohen Figur, welche aus Holz geschnitzt und mit uralten Symbolen und Runenzeichen reich verziert war. Die Paarungen symbolisierten und repräsentierten jeweils eine der neun Welten und damit alle Kräfte des Universums. Sie stellten Feuer und Eis, Licht und Finsternis, Leben und Tod, Wachstum und Zerstörung sowie die alles miteinander verbindende göttliche Kraft dar. Eine von ihnen reichte jetzt eine einfache Tonschale mit einer Flüssigkeit darin weiter. Sie murmelte etwas, wobei sie erst nach Norden blickte, dann in die anderen Himmelsrichtungen, dann nach oben und schließlich nach unten. Die Entgegennehmende tauchte drei Finger einer Hand in die Schale und spritzte eine kleine Menge der Flüssigkeit in alle Richtungen. Anschließend nahm sie einen tiefen Schluck. Diese Prozedur wiederholte sich auch bei den folgenden Frauen.
    Mit versteinerten Mienen fassten sie sich an den Händen und hoben gemeinsam ihre verwitterten und wettergegerbten Gesichter gen Himmel. Feine farbige Linien zierten diese. Einigen von ihnen fehlte das linke Auge, einst Opfergabe an den einäugigen Göttervater, dem sie sich geweiht hatten. Die lange verheilten leeren Augenhöhlen ließen darauf schließen, dass diese Opfer bereits fast so alt wie sie selbst waren.
    Einer hochgewachsenen, hageren Zauberin fehlte die linke Hand, welche sie dem alten Himmelsgott Tiu geopfert hatte. Ihre Nachbarin hielt deren Armstumpf anstatt der Hand. Die Opferung eines Körperteils war in ihrer aller Augen die höchstmögliche Huldigung eines Gottes. Wer etwas von sich opferte, bekam auch etwas dafür zurück – es war das uralte Prinzip des Gebens und Nehmens. Oft war es Weisheit, die man im Austausch für ein solch hohes Opfer empfing. Und weise waren sie, diese Zauberinnen!
    Einige trugen Umhänge aus Habicht- oder Falkenfedern als Zeichen ihrer Verbundenheit mit dem Fruchtbarkeitsgott Ingwio oder der Muttergöttin selbst. Andere hüllten sich in dunkle, mit reichhaltigen und feinen Stickereien verzierte Überwürfe und sie hatten ausnahmslos langes, wallendes Haar von Schlohweiß bis zu einem gräulichen Blond. Schwarze, metallisch glänzende große Rabenfedern steckten bei zweien von ihnen im Schopf. Auffällige Anhänger, teils aus Knochen, teils aus Holz, verziert mit kleinen Federn oder Lederbändern, schmückten die Hälse fast aller Frauen. Auch die Hände und Unterarme waren mit feinen gezackten Linien und Spiralmustern aus heiliger Farbe überzogen. In langwierigen, schmerzhaften Prozeduren waren diese mit den spitzen Knochensplittern geopferter Raubvögel tief unter die Haut gestochen worden.
    Die Zauberinnen waren jetzt bereit, die Himmelsscheibe einzusetzen, den Durchgang zu öffnen, so, wie es seit Menschengedenken nicht mehr geschehen war. Denn der Preis war hoch! Eine von ihnen würde noch heute Nacht zur Hel gehen – in die Welt, aus der keiner zurückkonnte, außer dem hellhörigen und wachsamen »Weißen Gott«, Beleuchter der Welten, »Goldzahn« genannt, Sohn des Einäugigen und der neun Mütter. Und niemand opferte leichtfertig eine der mächtigen zauberkundigen Hagedisen, denn ihre Weisheit und ihre Voraussicht waren für die Anführer von unschätzbarem Wert. Die Hagedisen waren zugleich Seherinnen, Heilerinnen und Ratgeberinnen – eben Grenzgängerinnen, Zaunreiterinnen zwischen den Welten, wussten um dieses und jenes, kannten alles und jedes und waren für die mächtigen Stammesführer wichtige Quellen der Inspiration.
    Doch diese Welt der Menschen stand am Scheideweg, alles war im Umbruch! Gewaltige Armeen aus dem Süden, in silbern glänzenden Eisenrüstungen und stets im Gleichschritt marschierend, unterwarfen die alten Stämme des Nordens einen nach dem anderen und zwangen sie zu Tributzahlungen oder in die Sklaverei. Die Welt der Stämme stand vor dem Untergang und eine neue Weltordnung schickte sich an, von den Menschen Besitz zu nehmen.
    Die Welt, aus der die Eisenmenschen kamen, nannten sie selbst »Rom« und es hieß, dass die kleinen, dunklen Männer aus jener Welt die wilde Kraft des Feuers beherrschten. Sie mussten wahrhaft mächtig sein und starke Götter haben, denn Feuer gebar ihnen Steine, härteres Eisen als das der Stämme – und sogar brennendes Wasser! Kein ungestümer Fluss konnte ihr Heer aufhalten, kein düsteres und
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