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Marco Polo der Besessene 2

Marco Polo der Besessene 2

Titel: Marco Polo der Besessene 2
Autoren: Gary Jennings
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Schwarze« -kam -, denn schwarz ist seine Farbe. Dieses Material kommt in großen Lagerstätten unter der gelben Bodenkrume vor; infolgedessen kommt man leicht mit Hacke und Schaufel heran, und da es vergleichsweise bröselig ist, läßt sich das Gestein ohne weiteres in handliche Brocken zertrümmern. Ein Herd oder eine Glutpfanne, die man mit diesen Brocken füllt, muß man zwar mit dürrem Holz entzünden, doch brennt das kara erst einmal, brennt es wesentlich länger und verströmt eine größere Hitze, ungefähr so wie Naphtalin. Es steht in großen Mengen zur Verfügung, man braucht es nur auszugraben, und sein einziger Nachteil ist der dichte Rauch. Und da in jedem Haushalt und jeder Werkstatt und jeder karwansarai in Kashgar als Brennmaterial kara verwendet wird, hing ständig eine Rauchglocke zwischen Himmel und Stadt.
    Erfreulicherweise verlieh das kara der darauf zubereiteten Nahrung keinen ekelerregenden Geschmack wie der Yak-oder Kamelmist den auf ihnen bereiteten Gerichten; dabei war das, was wir in Kashgar vorgesetzt bekamen, zu unserem Leidwesen nichts Neues für uns. Überall sah man nicht nur Schaf-und Ziegen-, sondern auch Yak-und Rinderherden; außerdem wurden auf jeder Hofstelle eines Bauern Schweine, Hühner und Enten gehalten, doch das Alltagessen in der Herberge Zu den Fünf Glückseligkeiten waren immer noch Hammelgerichte. Die Uighur-Völker haben wie die Mongolen keine eigene Religion, und damals war mir noch nicht klar, ob die Han eine hatten oder nicht. Gleichwohl begegnete einem in Kashgar, das ja ein Handelsmittelpunkt war und damit eine ständig wechselnde Einwohnerschaft aufwies, jeder Religion, die es gab, und das Schaf lieferte nun einmal ein Fleisch, dessen Genuß keine Religion verbietet. Und der aromatische, schwache, nicht berauschende und aus diesem Grunde gleichfalls religiös nicht verwerfliche cha bildete nach wie vor das Hauptgetränk.
    Eine Abwechslung auf unserem Speiseplan verdankten wir Kithai allerdings sehr wohl. Anstelle von Reis bekamen wir eine miàn genannte Beilage vorgesetzt. Das nun war für uns nicht geradezu etwas Neues, da es sich nur um Teigwaren der langen Würmerart handelte, aber es war gleichsam eine willkommene alte Bekannte. Für gewöhnlich wurde miàn »al dente« gekocht aufgetragen, nicht anders als die venezianischen vermicelli, doch manchmal war es auch in kleine Stücke zerschnitten und rösch gebraten. Für mich zumindest war jedoch neu daran, daß sie zum Essen mit zwei langen Stäbchen serviert wurden. Völlig perplex starrte ich sie an, als ich sie das erste Mal vorgesetzt bekam, und mein Vater und mein Onkel machten sich über das Gesicht lustig, das ich zog.
    »Man nennt sie kuài-zi«, belehrte mein Vater mich, »Flinke Zange, die im übrigen praktischer sind, als sie aussehen. Schau nur, Marco.«
    Beide Stäbchen mit den Fingern einer Hand haltend, pickte er mit ihnen fein säuberlich Fleischbrocken und kleine Klumpen miàn heraus.
    Bei mir bedurfte es einiger Minuten verwirrter Übung, bis ich den Umgang mit der »Flinken Zange« erlernt hatte, doch nachdem ich ihn beherrschte, fand ich ihren Gebrauch weit säuberlicher als die übliche mongolische Art, mit den Fingern zu essen -und wesentlich besser geeignet, Teigwarenschnüre damit aufzuwickeln als unsere venezianischen Löffel und Spieße.
    Unser Uighur-Wirt lächelte anerkennend, als er sah, wie ich anfing, herauszupicken und zu fischen und die Stäbchen zu zwirbeln, und erklärte mir, die Flinke Zange sei ein Beitrag der Han zur feinen Art des Speisens. Sodann versicherte er mir, auch die miàn-vermicelli seien eine Han-Erfindung, doch dem widersprach ich auf das Lebhafteste. Ich sagte ihm, Teigwaren in jeder Form seien auf der gesamten italienischen Halbinsel zu finden, seit ein römischer Schiffskoch zufällig ihre Zubereitung erfunden habe. Vielleicht, deutete ich an, hätten die Han sie in der Zeit gelernt, da -noch unter den Römern -ein lebhafter Handel zwischen Kithai und Rom geherrscht habe.
    »Ganz gewiß ist das so geschehen«, sagte der Herbergswirt, der schließlich ein Mann von ausgesuchter Höflichkeit war.
    Ich muß sagen, daß die einfachen Leute in Kithai, und zwar die Angehörigen jeder Rasse -sofern sie nicht gerade blutig in Fehde miteinander lagen und mit Racheakten, Bandenwesen, Rebellion oder offener Kriegführung beschäftigt waren -ganz ungewöhnlich höflich im Umgang miteinander sind. Und dieses vornehme Betragen, glaube ich, war wirklich ein Beitrag der
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