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Marco Polo der Besessene 2

Marco Polo der Besessene 2

Titel: Marco Polo der Besessene 2
Autoren: Gary Jennings
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und mit groben Zügen ausgestattet. Gleichwohl gehörten Personen zur Bevölkerung, die dem Aussehen, der Sprache und dem Verhalten nach ganz anders waren -anders als ich, aber auch anders als die mongoliden Völker. Das waren die Han, wie ich erfuhr, die ursprünglichen Bewohner dieser Lande.
    Die Gesichter der Mehrzahl waren blasser als meines; sie besaßen eine zarte Elfenbeinfärbung, ähnlich wie Pergament von besonders guter Qualität, und sie wiesen so gut wie keine Gesichtsbehaarung auf. Ihre Augen wurden nicht durch seitlich herabgezogene Lider verengt wie die der Mongolen, und dennoch wirkten sie wie schrägsitzende Schlitzaugen. Sie waren feinknochig und zartgliedrig und so schlank, daß sie geradezu zerbrechlich wirkten. Dachte man beim Anblick eines zottigen Mongolen oder eines seiner Uighur-Verwandten sofort: »Dieser Mensch hat von jeher im Freien gelebt«, so war man beim Anblick eines Han, selbst dann, wenn es sich um einen hartarbeitenden armen Bauern handelte, der völlig von Schlamm und Mist verdreckt seinen Acker bestellte, sofort der Überzeugung: »Dieser Mensch ist in einem Haus geboren und groß geworden.« Aber man brauchte gar nicht erst hinzusehen; auch ein Blinder hätte bemerkt, daß ein Han etwas Einzigartiges ist - er brauchte ihn bloß sprechen zu hören.
    Die Han-Sprache ähnelt keiner anderen auf dieser Erde. Wenn ich auch keine Mühe hatte, mongolisch sprechen zu lernen und es mit dem zugehörigen Alphabet auch zu schreiben - von Han lernte ich nie mehr als die Anfangsgründe. Die Sprache der Mongolen ist zwar hart und rauh wie die Menschen, die sie sprechen, doch zumindest verwendet sie Laute, die nicht anders sind als die, welche in unseren abendländischen Sprachen benutzt werden. Han hingegen ist eine stakkatohafte Silbensprache, doch die Silben werden eigentlich eher gesungen als gesprochen. Offensichtlich ist die Kehle eines Han außerstande, mehr als nur einige wenige Laute zustande zu bringen, wie andere Völker sie machen. So ist zum Beispiel der Laut r etwas, das sie einfach nicht fertigbringen. Mein Name lautete in ihrer Sprache immer Mah-ko. Und da sie nur äußerst wenige Laute haben, etwas damit auszudrücken, müssen die Han sie in unterschiedlicher Hö he erklingen lassen -hoch, mittel, tief, ansteigend, abfallend -, um genügend Variationsmöglichkeiten für die Ausbildung eines richtigen Wortschatzes zu haben. Es geht etwa folgendermaßen: Angenommen, unser Lobgesang der Engel aus der heiligen Messe : Gloria in excelsis bedeutet nur dann »Ehre… in den Höhen«, wenn es im Auf und Ab der gregorianischen Neumen gesungen wird, dann jedoch, wenn er nach anderem Auf und Ab gesungen würde, einen vollständigen Bedeutungswandel erführe und etwa soviel bedeutete wie: »Dunkelheit in tiefster Tiefe«, oder »Schmach den Gemeinsten« oder gar »Fisch zum Braten«.
    Freilich, Fische gab es in Kashgar nicht. Unser Uighur-Herbergswirt erklärte geradezu stolz, warum nicht. Hier in dieser Stadt, sagte er, wären wir so weit im Inland, wie man nur je von einem Ozean auf Erden entfernt sein könne -den gemäßigten Ozeanen im Osten und Westen, den tropischen Meeren im Süden und dem zugefrorenen im Norden. Nirgendwo auf Erden, sagte er, als wäre das etwas, womit man großtun könne, gäbe es einen Ort, der weiter vom Meer entfernt sei als Kashgar. Und in dieser Stadt gebe es auch keinen Süßwasserfisch, sagte er, denn der Passagen-Fluß sei viel zu sehr von den Abwässern der Stadt verschmutzt, als daß Fische darin gedeihen könnten. Dieser Abwässer war ich mir bereits bewußt, denn ich hatte eine Art bemerkt, die ich nie zuvor gesehen hatte. Jede Stadt stößt Spülwasser, Müll und Rauch aus, doch der Rauch von Kashgar war etwas Besonderes. Er stammte nämlich von einem Stein, der brennt, und dies war der erste Ort, wo ich diesen zu sehen bekam.
    In gewisser Hinsicht stellt der brennbare Stein das genaue Gegenteil jenes Felsgesteins dar, das ich zuvor in Balkh gesehen hatte und aus dem man jenes Tuch herstellt, das nicht brennt. Viele von meinen venezianischen Landsleuten, die nie gereist sind, haben sich über beide Steine lustig gemacht und mir nicht geglaubt, wenn ich davon erzählte. Andere Venezianer hingegen
    - Matrosen auf Schiffen, die Handel mit England trieben - haben mir berichtet, dieser brennbare Stein sei in England durchaus bekannt und bilde das übliche Brennmaterial, das man dortzulande kohle nenne. In mongolischen Landen nennt man es einfach »das
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