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Marathon

Marathon

Titel: Marathon
Autoren: Helmut Frangenberg
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am
meisten am Älterwerden hasste, war der unaufhaltsame Verfall.
Er erinnerte sich an seinen letzten Urlaub in Griechenland vor
über zwei Jahren, als er beschlossen hatte, sich nicht mehr in
einer Badehose an einen Swimmigpool zu legen. An herrlich klarem
Wasser inmitten von wunderschöner Natur mit zirpenden Grillen
und zwitschernden Vögeln, während das Mädchen hinter
der Bar die Eiswürfel in den Mixer fallen ließ, um den
Cocktail auf eine der angenehm lähmenden Hitze des
Urlaubslandes angemessene Temperatur zu kühlen, war ihm klar
geworden, dass er trotz aller Bemühungen nicht mehr schön
war. Der Körper passte nicht mehr in die griechische
Landschaft. Die Mitreisenden gleichen Alters
duschten ihre Körperfalten und Speckwürste, die sie noch
nicht hatten, als sie das Land früher mit dem Rucksack bereist
hatten. »Vieles hat sich verändert. Ist ganz schön
touristisch geworden hier!«
    »Genau.«
Doch für die größte Veränderung hatten die
Urlauber selbst gesorgt, deren unförmige Körper, auf
denen Haare wuchsen, wo sie nicht wachsen sollten, und Haare
ausfielen, wo sie bleiben sollten, im Pool planschten. Gröber
konnte sich an die Gesichter der Einheimischen erinnern, denen er
glaubte ansehen zu können, wie sie über die unglaubliche
Wasserverdrängung dieser Körper staunten. Wohl dem, der
sein Alter ignorieren konnte. Wer es wie er nicht mehr konnte,
musste angesichts des Kontrastes zwischen sich und der
Schönheit seiner Umgebung verzweifeln. Gröber hatte sich
damals ein Hemd und Shorts angezogen, drei Cocktails getrunken und
sich fest vorgenommen, sich nie mehr in einen Liegestuhl zu legen
-und wenn, nur angezogen.
    Er wusste, dass da
nicht mehr viel zu machen war, und doch war er sich ebenso sicher,
etwas gegen die Trägheit tun zu müssen, die ihn langsam,
aber sicher in Beschlag zu nehmen drohte. 
    Er drehte den
Bierdeckel zwischen den Fingern. »Bewegung ist nötig.
Ich muss mich mal ein bisschen bewegen«, sagte er sich und
fasste einen Entschluss: »Ich gehe laufen. Ich kann noch
was.«
    Er kramte sein Handy
aus der Tasche und wählte Remmers Nummer, während Rainer
sein drittes und viertes Bier bestellte.
    »Was willst du
um elf Uhr nachts?«, blökte Remmer ihn an, bevor er
irgendwas gesagt hatte.
    »Geht's dir
gut?«, fragte er gut gelaunt zurück. »Was machst
du?«
    »Ich sitze mit
einem Glas Chardonnay an meinem Küchentisch und freue mich auf
mein Bett.«
    Im Hintergrund
hörte er eine Männerstimme. Der fremde Mann nannte sie
»Chérie«, was Gröber mehr als befremdlich
fand. Nichts passte weniger zu seiner Chefin.
    »Biste besoffen
oder was?«, fragte sie, bevor ihm eine Bemerkung zu
Chardonnay, Küchentisch und Bett einfiel. »Was willst
du?«
    Gröber nahm
seinen Bierdeckel, um sich zu erinnern.
    »Ich möchte
morgen früh eine Überstunde abfeiern.«
    »Was?«
    »Ich möchte
morgen eine Stunde später kommen.«
    »Weißt du
jetzt schon, dass es so schlimm wird mit deinem
Kater?«
    »Nein. Ich bin
stocknüchtern und werde vor dir im Bett liegen, blöde
Kuh.«
    Rainer starrte ihn mit
großen Augen an.
    »Wir haben einen
Mordfall aufzuklären. Da kann man keine Überstunden
abfeiern.«
    »Eine.
Bitte.«
    »Na gut.
Eine.«
    Gröber steckte
das Handy ein, zählte die Striche auf seinem Deckel und kramte
fünfzehn Euro aus der Tasche.
    »Du kannst doch
jetzt noch nicht gehen«, entrüstete sich sein Nachbar.
»Lass uns deinen Fall aufklären.«
    Gröber rutschte
von seinem Barhocker, zog die Jacke über und gab Rainer den
Schlag zurück, mit dem ihn dieser vorm Versacken bewahrt
hatte.
    »Morgen
wieder«, verabschiedete er sich.

6
    Iris Remmer schob
ihren Teller in die Mitte des Tisches.
    »Ich kann nicht
mehr«, schnaufte sie.
    »Was wollte dein
Kollege?«, fragte Schmallenberg. Der Pathologe schob sich das
letzte Stück seines siebten Reibekuchens mit frischem Tatar in
den Mund.
    »Er feiert
morgen eine Überstunde ab.«
    Sie goss sich ein
weiteres Glas Wein ein und ließ den Blick über das Chaos
in ihrer Küche schweifen, das jedes Mal entstand, wenn sie
für besondere Gäste ihre Spezialität zubereitete.
Vier Pfannen waren nötig und gleichzeitig im Einsatz, um die
Remmer'sche Reibekuchenschlacht zu schlagen. Reibekuchen
müssen heiß gegessen werden. Wenn sie kalt werden, sind
sie nicht mehr knusprig. Deshalb wurden gleich
ein Dutzend Häufchen der köstlichen mit Gewürzen,
Petersilie, Zwiebeln und Eiern vermischten Kartoffelmasse
gleichzeitig in Pflanzenöl knusprig
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