Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Marais-Fieber

Marais-Fieber

Titel: Marais-Fieber
Autoren: Léo Malet
Vom Netzwerk:
dazu hatte der Hausherr selbst im richtigen Moment noch
die Mordwaffe geliefert.
    Onkel Samuel-Cabirol lag artig
auf dem Rücken neben dem Sessel, von dem er anscheinend gerutscht war, nachdem
er seine Portion abgekriegt hatte. Die Verpackungskünstler von
Borniol konnten kommen. Ich wäre jede Wette eingegangen, daß er sozusagen
im Stande der Sünde gestorben war. Wenn man genau hinsah, war sein Mund
vielleicht gar nicht so spöttisch verzerrt. Seine Lippen waren rotverschmiert
von einem angenehm duftenden Lippenstift. Meine Nase erinnerte sich noch ganz
genau an diesen Duft, so flüchtig sie ihn auch wahrgenommen hatte.
    Aus dieser Kleinigkeit konnte
man ‘ne Menge Schlüsse ziehen, richtige und falsche.
    Die Alpaka-Jacke der Leiche war
aufgeknöpft. Der Dolch steckte bis zum Heft in der Brust, heftete die linke
Jackenhälfte an den Körper. Die andere Hälfte war über dem Arm
zurückgeschlagen, so daß man nur das Futter sehen konnte. Aus der Innentasche
schaute eine Maroquin-Brieftasche hervor, die von den Jahren und dem häufigen
Gebrauch blank war.
    Auch daraus konnte man seine
Schlüsse ziehen. Zum Beispiel, daß man den Toten durchsucht hatte, daß man ihm
was geklaut hatte...
    Aber vielleicht nicht alles!
    „Na also, da ist es ja, dein
Wunder!“ rief jemand und lachte dreckig.
    Ausruf und Lachen kamen aus
meinem Mund. Mir wurde ganz komisch zumute. Nach einem kurzen inneren Kampf
ging ich zur Wohnungstür und verriegelte sie. Ich wollte bei meiner riskanten
Arbeit ohne Netz und doppelten Boden nicht gestört werden. Also drehte ich den
geriffelten Knopf rum. Das Klicken der Verriegelung trieb mir einen eiskalten
Schauer über den Rücken. In böser Vorahnung wollte ich den Knopf wieder in die
andere Richtung drehen. Fehlanzeige! Der Mechanismus bewegte sich keinen
Milimeter. Ein Sicherheitsschloß eben, eine Sonderanfertigung. Ließ sich jetzt
nur noch mit dem passenden Schlüssel öffnen. Ich war reif! Nach einer
Schrecksekunde ging ich wieder zur Leiche zurück und durchsuchte sie. Ich fand
bei ihr ein Schlüsselbund mit dem wichtigen Schlüssel und steckte es ein. In
dieser Hinsicht war ich jetzt beruhigt. Dann schnappte ich mir vorsichtig die
Brieftasche, die so ins Auge stach. Mir zitterten dabei richtig die Hände; aber
was sein muß, muß sein. Diese Gelegenheit wollte ich nicht vorübergehen lassen.
Außerdem war dieser Cabirol zu Lebzeiten ein ganz schönes Schwein gewesen.
Einen Plüschbären als Pfand zu nehmen! Er verdiente es wirklich nicht, daß man
ihm gegenüber irgendwelche Skrupel empfand.
    Anscheinend handelte es sich
hier nicht um Raubmord. In der Brieftasche befanden sich gut hundert
Scheine , alles furchtbar schmierige Tausender. Ich nahm mir die Hälfte
davon: für meine Auslagen und die Aufregung beim Entdecken der Leiche. Mit dem
Geld in der Tasche fühlte ich mich gleich als anderer Mensch. Ich tat die
Brieftasche wieder an ihren Platz. Dann unternahm ich den üblichen Rundgang.
Berufliche Neugier.
    Ich wäre besser ins Café
gegangen. Erst kam ich in eine Art Lagerraum. Danach durchsuchte ich ein
winziges Eßzimmer, eine noch winzigere Küche und ein muffiges Schlafzimmer.
Nichts für mich dabei.
    Nichts? Also, um genau zu
sein... Wenn man nicht rechtzeitig abhaut, nützt auch kein Laufen! ...
Rechtzeitig abhaun! ... Solche Sprichwörter haben sich schon oft bewahrheitet.
Man sollte sie ständig im Kopf haben. Das würde einem ‘ne Menge Ärger ersparen.
    Als ich nämlich wieder in das
„Geschäftszimmer“ von Cabirol zurückkam, kriegte ich eins mit dem berühmten
stumpfen Gegenstand auf den Hinterkopf. Voller Illusionen machte ich sofort ein
paar Luftsprünge, in der Art von Serge Lifar oder Yvette Chauviré, den Sternen
am Balletthimmel. Sekunden später sah ich dann Sterne genug. Ein erstklassig
inszeniertes Erdbeben in Technicolor. Im Fallen hörte ich eine innere Stimme
flüstern: ,Wie gewonnen, so zerronnen.’ Und: ,Unrecht Gut gedeihet nicht.’
    An diese beiden Sprichwörter
hatte ich gar nicht gedacht!
     
    *
* *
     
    Yvette
Chauviré, Zizi Jeanmaire oder Ludmilla Tcherina. Ich legte mich nicht fest. Eine dieser Damen vom
Ballett. Egal welche. Die kleine nackte Frau aus massivem Gold tanzte auf
meiner Brust. Vorher hatte sie auf Cabirols Brust getanzt. Zwei weiße
Satinschühchen kitzelten mich an der linken Seite. Das Parfüm der kleinen
nackten Frau stieg mir in die Nase. Das wohlbekannte Parfüm! Ich hatte es schon
zweimal geschnuppert. Der Lippenstift —
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher