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Marais-Fieber

Marais-Fieber

Titel: Marais-Fieber
Autoren: Léo Malet
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machen.
    Ich
war wirklich schon zu lange hier und machte Dummheiten. Außerdem schienen sich
zu viele Leute verabredet zu haben, auf unterschiedliche Art und Weise, mit
unterschiedlichen Absichten.
    Ich sah noch einmal zu Onkel
Samuel und seinem Trödelkram hinüber. Dann knipste ich das Licht aus und ging
zur Tür.
    Plötzlich überkam mich ein
eigenartiges Gefühl, so als hätte ich alles schon einmal erlebt. Nur eine
flüchtige Ahnung, die sich sofort wieder verwischte und im Nebel verschwand.
Eine verschwommene Erinnerung, die einem zuzwinkert, mehr nicht, und dann
wieder verblaßt, schneller als ein hüpfendes Irrlicht. Allerdings weniger
angenehm, denn sie hinterläßt ein Gefühl der Unzufriedenheit.
    Ich versuchte erst gar nicht,
diesem seltsamen Geistesblitz näher auf den Grund zu gehen. Mich hier in der
Gegend aufzuhalten, wurde mit jeder Minute gefährlicher. Ich trat in den
Hausflur. Mir kam der Gedanke, daß man nicht ohne böse Folgen eins verpaßt
kriegt.
    Auf der Treppe hörte ich oben
das Telefon wieder klingeln, wütend und hartnäckig. Schien mir jedenfalls so.
Das ist auch so was, was man sich in solchen Situationen einbildet. Hat
überhaupt nichts zu sagen.
    Draußen war die Nacht schon
frühzeitig hereingebrochen. Das Licht der Straßenlaternen spiegelte sich auf
dem nassen Asphalt wider. Es hatte aufgehört zu regnen, aber der Himmel war
schwarz und trächtig wie eine reife Frucht. Das bedeutete nichts Gutes. Nur die
Ruhe vor dem Sturm. Das einzige, was an Frühling erinnerte, war die sanft
streichelnde Brise. Vor einem Gully, der die Wassermengen nicht bewältigen
konnte, hatte sich ein richtiger See gebildet. Die Autos scherten sich einen
Teufel darum. Wenn sie vorbeifuhren, überschwemmten dreckige Wassermassen den
Bürgersteig. Außer vor dieser riesigen Pfütze spazierten die Leute ruhig durch
die Straßen. Sie gingen an dem Haus der Tragödie vorbei, ohne zu ahnen, daß
dort in einem sehr kurzen Zeitraum jemand ermordet, bestohlen und
niedergeschlagen worden war. Eine stramme Leistung. Alle Achtung! Das Quartier
du Marais ist bekannt für seine guten Arbeiter, die
besten seit jeher.
    Ich überquerte die glatte
Fahrbahn und ging zur Bushaltestelle. Dort warteten mehrere Leute auf die 66.
Ich wartete auf etwas anderes. Meiner Meinung nach hatte der Anrufer zu
aufgeregt geklungen. Er kam bestimmt selbst vorbei, um nachzusehen, was bei
Cabirol los war. Denn der war ja dem Läuten des Telefons gegenüber taub
geblieben. Ich wollte mir den Kerl mal näher ansehen. Konnte nicht schaden.
    Ein Bus kam, füllte sich, fuhr
weiter. Ich bleib alleine zurück, hatte aber keine Angst, wegen meiner Ausdauer
aufzufallen. In dieser Gegend von Paris bleiben oft Touristen vor den alten
hochherrschaftlichen Häusern stehen, die den Spitzhacken der Abbrucharbeiter
bisher noch nicht zum Opfer gefallen sind. Und genau vor mir, Ecke Rue des
Francs-Bourgeois und Rue Vieille-du-Temple, stand ein schlanker Alibi-Turm, der
schon vor einigen Jahrhunderten erbaut worden war. Ganz sicher die Tour
Barbette, letzter Überrest des Stadthauses von Isabeau von Bayern... In
irgendeiner Zeitung hatte ich kurz vorher einen Artikel darüber gelesen. Als im
Jahre 1407 der Herzog von Orléans, der Bruder des Königs, Hals über Kopf dieses
Haus verließ, wurde er von den Killern von Jean-sans-Peur, dem Furchtlosen,
überfallen und fachmännisch umgebracht... Wie man sieht, hab ich ein Händchen
für Verbrechen. Ich stolperte sogar über historische. Eine Gabe des Teufels!
    Ein junger Mann hastete auf der
anderen Seite vorüber und brachte mich wieder zurück ins 20. Jahrhundert.
Vielleicht war das auch nur ein Staatsbürger wie jeder andere, geimpft und
wahlberechtigt. Er unterschied sich durch nichts von denen, die ihm
entgegenkamen. Grauer Übergangsmantel, Schlapphut, ebenfalls grau, und
wahrscheinlich eine Armbanduhr wie jeder. Aber mein Instinkt befahl mir
aufzupassen. Und als er dann noch ohne Zögern unter dem Torbogen des Hauses
verschwand, aus dem ich eben herausgekommen war, schwanden meine letzten
Zweifel. Jetzt wollte ich nur noch wissen, wann die Flics auf der Bildfläche
erscheinen und um den toten Cabirol herumschwirren würden wie Fliegen um
verdorbenes Fleisch.
    Ich verließ meinen Wachposten,
überquerte die Straße und stellte mich in angemessener Entfernung des Torbogens
auf. Ich wollte nichts verpassen, falls es was zu sehen gab.
    Zu sehen gab es erst einmal
wieder den jungen Mann. Aber da er in die andere
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