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Marais-Fieber

Marais-Fieber

Titel: Marais-Fieber
Autoren: Léo Malet
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Wetter an,
und genauso ging es mir. Von Kopfschmerzen abgesehen, fühlte ich mich unendlich
viel besser als am Vorabend um die gleiche Zeit. Ich besaß fünfzigtausend
Francs mehr, was sich günstig auf meine Form auswirkte. Trotzdem war mir noch
ziemlich übel. Reimt sich auf Prügel. Mein Gott! Die Leute mit dem Knüppel
machen einen noch zum Dichter!
    Vom Bett aus rief ich Hélène in
der Agentur an, um mich zu erkundigen, ob’s was Neues gab. Gab es nicht. Ich
sagte ihr, daß ich mir wohl eine Grippe gefangen hätte, so daß sie mich sicher
den ganzen Tag über nicht zu Gesicht bekommen würde. Sie meinte, sie könne sich
gut damit abfinden.
    Als das geregelt war, zog ich
mich an und ging frühstücken. Vorher kaufte ich mir alle Tageszeitungen, die
noch am Kiosk zu haben waren. Über alles wurde geschrieben: UNO, NATO, MRP,
SFIO, EDF, SVP Ein richtiger BHV . In Belleville hatte ein
gehörnter Ehemann seine Frau getötet, um seine Ehre zu retten. („Ausreden“,
hätte Félix Fénéon gesagt). Aus Fresnes waren vor kurzem
drei Gefangene ausgebrochen; zwei hatte die Vollzugsbehörde wieder schnappen
können. Nur Roger Latuit, genannt „die Schwuchtel“ (warum wohl?), lief noch
frei rum. Um bei den Damen zu bleiben: Marilyn Monroe und Gina Lollobrigida sollten
zusammen einen Film drehen, Pile et Face. Wohl eine Ente.
    So sehr ich auch suchte, keine
Meldung über den üblen Scherz, den man sich mit Cabirol erlaubt hatte. Auch die
ersten Abendausgaben hüllten sich in Schweigen. Wenn sich niemand entschließen
konnte, die Flics oder die Müllabfuhr zu benachrichtigen, konnte der Tote in
aller Ruhe da oben in der dritten Etage verfaulen und die Pest über das ganze
Arrondissement bringen. Diese unangenehme Vorstellung verließ mich erst, als
ich die 13.15-Uhr-Ausgabe des Crépuscule las, die Zeitung meines alten
Freundes Marc Covet. Die Schlagzeile lautete:
     
    PFANDLEIHER GESTERN IN SEINER
    WOHNUNG IM MARAIS ERMORDET
     
    Darunter der Artikel:
    „Das friedliche Marais-Viertel
wird von einem Verbrechen in Atem gehalten, ohne jedoch deswegen Trauer
anzulegen. Wie erst jetzt bekannt wurde, ist Jules Cabirol wahrscheinlich schon
gestern im Laufe des Tages oder am Abend mit einem Brieföffner erstochen
worden. Der Ermordete, Leuten in finanziellen Schwierigkeiten besser bekannt
unter dem Namen , Onkel Samuel’, war Pfandleiher in
der Rue des Francs-Bourgeois. Erst heute am späten Vormittag hat Maurice
Badoux, ein junger Student aus der Rue du Temple, Sohn eines bekannten
Industriellen, die Bluttat entdeckt, als er bei Cabirol irgendetwas versetzen
wollte. Sofort alarmierte er die Polizei. Kommissar Florimond Faroux von der
Hauptabteilung der Kriminalpolizei ist mit den Ermittlungen betraut worden.
Schon jetzt kann man sagen, daß sie schwierig werden, da Jules Cabirol mehr
Feinde als Freunde hatte. Die Tatsache, daß weder im Tresor noch in der
Brieftasche noch in den Schubladen der verschiedenen Möbel des Opfers auch nur
die kleinste Geldsumme gefunden wurde, läßt darauf schließen, daß es sich hier
um einen Raubmord handelt. Aber auch ein Racheakt kann nicht ausgeschlossen
werden, bringt doch der mehr als fragwürdige ,Beruf’ von Samuel-Cabirol große Gefahren mit sich. Verständlich, daß die Beamten, die
am Anfang ihrer Ermittlungen stehen, noch nicht viel dazu sagen können.
Immerhin haben sie uns wissen lassen, daß sie mehrere sehr interessante
Fingerabdrücke gefunden haben, zwar nicht auf dem Griff der Waffe, der
sorgfältig abgewischt wurde, aber dafür am Schauplatz des Verbrechens ...“
    Diese „sehr interessanten
Fingerabdrücke“ gefielen mir gar nicht.
    Ich faltete die Zeitung
zusammen, ging wieder hinauf in meine Wohnung, zündete mir eine Pfeife an und
setzte mich neben das Telefon. Es wäre mir lieber gewesen, Faroux würde anrufen
als an die Tür klopfen. Nach einer Stunde juckten mir Arme, Beine und Kiefer.
Das Telefon hatte nicht geläutet, und niemand hatte an die Tür geklopft. Aber
das hatte nichts zu sagen. Ich entspannte mich. Dann holte ich das Geld aus der
Tasche, das ich Cabirol geklaut hatte. Kein Zweifel: es stank genauso widerlich
wie sein „rechtmäßiger“ Besitzer. Wie sollte ich Faroux erklären, woher diese
dreckigen Scheine kamen? Vor allem, wenn der Grund für unsere Unterhaltung
einige dieser „interessanten Fingerabdrücke“ sein würden, die der
Erkennungsdienst mit seinem Wunderpulver in der Rue des Francs-Bourgeois
hervorgezaubert hatte! Ich glaubte zwar,
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