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Marais-Fieber

Marais-Fieber

Titel: Marais-Fieber
Autoren: Léo Malet
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sah mich von
oben bis unten an und ließ dabei die gelbe Kippe von einem Mundwinkel in den
andern wandern. Eine ausgereifte Nummer, von einem Filmhelden geklaut,
hervorragend gespielt.
    „Ich heiß Dédé“, stieß er
hervor.
    „Na gut, Dédé. Wenn ich dir ‘ne
nagelneue Zigarette rüberschicke, was würdest du dann mit der Kippe da machen?“
    „Würd sie in die Tasche
stecken, für schlechtere Zeiten.“
    „Hier hast du eine, Kleiner.“
    Ich gab ihm eine Gauloise. Wie
angekündigt schob er die Kippe in seine Kitteltasche und steckte sich die
Gauloise zwischen die Lippen. Ich gab ihm Feuer.
    „Und hundert Francs? Wie wär’s
damit?“ fragte ich weiter.
    „Weiß ich noch nicht, was ich
damit mach. Erst mal nehmen. Sei denn...“
    Er musterte mich von Kopf bis
Fuß.
    „...Nee. Sehn Se nich nach
aus…“
    Ein lautes, dreckiges Lachen.
    „...Und was soll ich für
hundert Francs machen?“
    „Mir sagen, wo ein Mieter
wohnt. Kann seinen Namen nirgends finden. Maurice Badoux. Der Kerl, der die
Leiche entdeckt hat. Cabirol. Weißt du, wen ich mein?“
    „Ich lese Zeitung, M’sieur“,
knurrte der Junge.
    „Mit dem will ich sprechen. Ich
bin Journalist.“
    „Von welcher Zeitung?“
    „Vom Crépu.“
    Verächtlich verzog er den Mund.
    „Ich lese Le Soir... Aber na schön, für hundert Francs will ich mal meine politische Überzeugung
vergessen.“
    „Vor allem“, lachte ich und gab
ihm den versprochenen Schein, „wenn der Verwaltungsratsvorsitzende vom Crépu und vom Soir ein und derselbe ist. Der wird schon wissen, warum er
zwei Leserschichten erreichen will...“
    „Scheiße! Wirklich?“
    „Klar!“
    „Man lernt immer noch dazu.“
    „Also, erzähl mir mal, wo ich
meinen Maurice finden kann.“
    „Unterm Dach, in einem
ehemaligen Dienstbotenzimmer. Die Treppe da...“
    „Lebt er alleine?“
    „Hm, vielleicht schleppt er
schon mal eine ab. Kann ich doch nicht wissen.“
    „Ich meinte... seine Eltern...“
    „Nein, die wohnen nicht hier.
In der Zeitung stand, er soll der Sohn eines bekannten Industriellen sein. Kenn
ich aber nicht.“
    „Haut vielleicht nicht so
richtig hin, da in der Familie?“
    Er zuckte die Achseln:
    „Schon mal Familien gesehn,
wo’s hinhaut? ...Also, ich muß jetzt wieder an die Arbeit. Vielen Dank für die
hundert Francs, M’sieur.“
    Lässig ging er weiter. Auf
manchem Misthaufen reift alles verdammt schnell.
     
    * * *
     
    Unterm Dach. Das Zimmer von
Maurice Badoux war schnell gefunden. An jeder Tür auf dem unendlich langen,
niedrigen Flur hing in Augenhöhe eine Visitenkarte oder ein Stück Papier, auf
dem ein Name gekritzelt war. Nur an einer stand nichts. Schlechte Tarnung. Im
Gegenteil: dadurch wußte man sofort, daß es die richtige war. Die richtige Tür
zum richtigen Zimmer.
    Ich klopfte und wartete.
    Man ließ sich Zeit. Ich hätte
sogar schwören können, daß niemand da war. Aber die Stille war eine ganz
besondere Stille. Ein so geübtes Ohr wie meins läßt sich davon nicht täuschen.
    Ich klopfte nochmal. Endlich
fragte jemand:
    „Wer ist da?“
    „Monsieur Badoux?“ fragte ich
zurück.
    Keine Antwort. Ohne weitere
Erklärungen wurde geöffnet. Eine kleine, schmächtige Gestalt im Türrahmen.
    Ich hatte ein Taxi bezahlt,
hatte hundert Francs ausgegeben, war fünf Etagen hochgestiegen. Alles für die
Katz. Maurice Badoux war nicht der junge Mann, den ich gestern im strömenden
Regen verfolgt hatte. Nicht nur, weil er eine Brille trug. Das ganze Aussehen,
die Haltung, die Größe, all das ließ mich darauf schließen, daß dies hier nicht
der Mann war, der meiner Meinung nach bei Cabirol angerufen hatte. Der war
nämlich groß. Na ja, verhältnismäßig groß. Jedenfalls größer als der Student
vor mir. Ich stutzte. Offensichtlich ließ er die Vorlesung ausfallen.
    „Ja bitte?“ fragte er
aggressiv.
    „Darf man reinkommen?“
    Nett machten wir das. Einer
fragte, der andere antwortete mit einer Gegenfrage. Das konnte lange dauern.
    Ich hätte wieder gehen können.
Das war nicht der Mann, den ich suchte. Aber in seinen Augen hinter den dicken
Brillengläsern blitzte es eigenartig auf. Also blieb ich. Allerdings ging
dieses Blitzen Hand in Hand mit kindischen Vorsichtsmaßnahmen, die aber
vielleicht nichts weiter zu bedeuten hatten. Trotzdem...
    „Reinkommen?“ knurrte er.
„Warum?“
    „Ich bin Journalist.“
    „Dachte ich’s mir doch. Sie
sind nicht der erste, aber kommen Sie ruhig rein. Jeder muß schließlich
essen...“
    Ich betrat
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