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Marais-Fieber

Marais-Fieber

Titel: Marais-Fieber
Autoren: Léo Malet
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flachsblonde
Kellnerin Gläser. Dabei schien sie an den Tod von Louis XVI zu denken.
    Ich bestellte bei ihr einen
Grog und ging dann zu dem Musikautomaten. Die java hatte wohl nur darauf
gewartet, um auf einem langgezogenen Akkord zu enden. Die Platte verschwand
wieder hinter einer Schiene, auf der Nummern standen. Ich sah mir die Liste der
Lieder an. Le Grisbi kam in drei verschiedenen Versionen vor. Und da war
ja auch schon La Valse des Orgueilleux aus dem Film von Yves Allégret.
    Ich ließ den Walzer spielen,
nur so zum Vergnügen. Dann ging ich wieder zur Theke, wo der dampfende Grog auf
mich wartete.
    Die besessenen Würfelspieler
hätten für nichts in der Welt ihre Partie unterbrochen.
    Das Dienstmädchen saß jetzt mit
dem Rücken an die Theke gelehnt und klopfte wie vorher den Takt. Nur die
Kellnerin sah mich mißmutig an.
    „Gefällt’s Ihnen nicht?“ fragte
ich und wies mit dem Kinn auf den chromblitzenden Automaten.
    „Zum Kotzen“, antwortete das
Mädchen. „Das und die Kapelle! Wenn das so weitergeht, stopf ich mir Ohropax in die Ohren. Das Lied hab ich heute schon mindestens fünfzigmal gehört.“
    „Mögen das die Leute?“
    Sie seufzte: „Vor allem einer.“
    „Benimm dich gefälligst bei den
Gästen, Jo“, meldete sich der patron vom Würfeltisch. „Man sagt nicht ,zum Kotzen’!“
    Er reagierte etwas spät, hörte
aber mit einem Ohr hin.
    „Macht doch nichts“, sagte ich.
    „Entschuldigung“, murmelte die
Kellnerin.
    „Macht wirklich nichts. Möchte
wetten, Sie meinen Alfredo. Fredo, hm?“
    „Fredo?“
    „Der mit den Orgueilleux .“
    „Wie der heißt, weiß ich
nicht.“
    Na schön. Die Platte war zu
Ende. Ich ließ sie wieder von vorne laufen. Arme Kellnerin! Dann ging ich zu
den Toiletten, die sich vorne im Gang befanden, zwischen einer Art Abstellraum
und der einzigen Telefonzelle. Ich ging in die Kabine und schloß die Tür hinter
mir. Das verschlug der Musik für einen Augenblick die Sprache, wofür sie sich
rücksichtslos mit einer Fanfare revanchierte, die überfallartig auf mein armes
Trommelfell niederschmetterte. Die Tür schloß nämlich nicht richtig. Wenn man
in Ruhe telefonieren wollte, ohne unpassende musikalische Untermalung, dann
mußte man den Türknauf schon festhalten. Zufrieden mit dem Ergebnis meines
Experiments, trat ich wieder hinaus auf den Gang. Dort versperrte mir der
mächtige Körper des patron den Weg.
    „Suchen Se was, M’sieur?“
fragte er mich gleichgültig, müde.
    Sollte ich ihm sagen, daß ich’s
schon gefunden hatte? Ich hob die Schultern:
    „Nein, nichts. Vielen Dank.“
    Ich ging wieder zurück an die
Theke, leerte mein Glas und zahlte. Dann grüßte ich freundlich in die Runde,
indem ich mit einem Finger lässig an die Hutkrempe tippte, und ging zum
Ausgang. Vier Augenpaare folgten mir. Ich hörte einen sagen:
    „Das ist bestimmt einer.“
    Draußen regnete es immer noch,
aber weniger stark. Langsam ging ich zurück zur Rue des Francs-Bourgeois. Hier
herrschte Ruhe und Frieden. Keine verdächtigen Menschenmassen vor dem Haus, wo
bald eine Wohnung frei werden würde. Bei einem heiseren Zeitungsverkäufer
besorgte ich mir eine Abendausgabe. Damit setzte ich mich in ein nahes Bistro
mit vielen sympathischen Gästen. Sie unterhielten sich über Verschiedenes. Über
alles, nur nicht über einen Mord. Zwei- oder dreimal glaubte ich, die typische
Polizeisirene zu hören. Aber die heulte nur in meinem Kopf. Überhaupt spielte
sich viel in meinem Kopf ab. Außerdem hatte der Polizeipräsident von Paris das
Hupen verboten. Kurz darauf war ich aber nicht der einzige, der den Klang eines
Doppelhorns hörte. Erst weit weg, dann immer lauter. Die Feuerwehr. Sie durfte
ihre Sirene benutzen.
    „Hat jemand Feuer?“ fragte ein
Witzbold und mußte selbst darüber lachen.
    „Kann auch ‘ne Überschwemmung
sein“, sagte sein Freund. „Bei dem Wolkenbruch sind die Keller...“
    „Oder einer hat den Gashahn
aufgedreht Das Feuerwehrauto bog in eine Nachbarstraße ein und verschwand
jaulend in der Nacht.
    Ich zahlte und ging zum
Telefon. Im Abstand von wenigen Minuten wählte ich zweimal Temple 12-12. Es
läutete ins Dunkel hinein. Ich meinte, die Last auf meinen Schultern zu spüren.
Kein dichter Schnurrbart mit Schlapphut nahm den Hörer ab, um mit mir zu
sprechen.
    Zu Hause legte ich mich ohne zu
essen ins Bett. Mir war hundeelend.

Der Lügner
     
    Am nächsten Tag wachte ich
gegen Mittag auf. Es regnete nicht mehr. Das Barometer zeigte gutes
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