Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Márai, Sándor

Márai, Sándor

Titel: Márai, Sándor
Autoren: Die vier Jahreszeiten
Vom Netzwerk:
Name mir so geläufig ist, dass ich ihn noch im Sterben vor mich hinsagen werde, als einzigen auf Erden, als den Sinn des Lebens. Lieben ist im Grunde nichts anderes als kennen, gut, vollkommen kennen. Warum habe ich die anderen nicht auf diese Art gekannt, warum kenne ich gerade diese, vom ersten Augenblick an? Ich begreife es nicht.
    ERINNERUNG (II)
    An einem anderen Tag stellte ich fest, dass ich sie nicht mehr liebe. Warum? Die Frage interessierte mich, und ich hätte gern ehrlich erwidert. Meine Antwort lautete: Ich liebe diese Frau nicht, weil aus ihrem Wesen nicht mehr die magische Stimme spricht, die mich einst anzog mit solchem Dröhnen, Rufen und Tosen, dass ich Meere überquert hätte, um sie zu sehen, um sie in meine Arme zu schließen, sie zu retten vor der Welt. Nun will ich sie nicht mehr retten vor der Welt. Natürlich würde ich es sehr bedauern, wenn sie krank wäre oder sie materielle Sorgen quälten, ich würde ihr einen Arzt schicken, auch Geld, per Postanweisung. Nicht viel. Meinen finanziellen Möglichkeiten angemessen. Die Zeiten sind nicht danach.
    Das alles überrascht mich etwas, denn gestern oder vorgestern wollte ich ihr noch größere Geschenke machen, zum Beispiel alles, worüber ich auf Erden verfüge, ja sämtliche Schätze des Alls, darüber hinaus Mond und Sterne. Gut, das war nicht ganz ernst gemeint und auch irreal. Ich war verrückt nach ihr, fieberte, wenn man nur ihren Namen aussprach. Heute habe ich kein Fieber mehr. Sehe sie wie eine Frau unter Milliarden von Frauen, nicht besser, auch nicht schlechter, nur ein wenig – um eine Nuance – grauer, uninteressanter. Ihre Zähne sind ein wenig ungepflegt. Interessant, früher sah ich das nicht. Und dann ist sie auch leichtsinnig, wie jeder, der sein Geheimnis preisgibt. Ihr Geheimnis kenne ich jetzt bereits. Hm, murmele ich sinnend vor mich hin. Schreite langsam, auf den Spazierstock gestützt, unter den dämmrigen Bäumen und überlege – unbestreitbar, denke ich, war sie eine liebe, sympathische Frau. Mit kleinen Fehlern. Mein Gott, wer hat keine Fehler, wir alle sind nicht frei davon. Mit freundschaftlichen Gefühlen denke ich an sie, nur möchte ich sie in nächster Zeit, also die kommenden zwei, drei Millionen Jahre, nicht sehen. Auf dem Sterbebett wird mir ihr Name einfallen, und dann werde ich kurz aufstöhnen, als quälte mich eine unangenehme Erinnerung. Wann werde ich endlich gescheit? Was für Kräfte treiben ihr Spiel mit uns? Ich verstehe es nicht.
    DAS DUO
    Diese Liebesbeziehung haben sie so begonnen wie der Tenor und die Sopranistin die große Arie in der Oper. Es war eine schöne, reine, ein wenig laute Melodie, mit Flötentönen und dem hohen C. Ich habe genussvoll und skeptisch zugehört.
    Die wahren Liebesgeschichten, die fünfunddreißig Jahre dauern und mit vier Kindern, elf Enkeln und an dörflichen Grabhügeln enden, sind viel stiller. Sie beginnen auch leiser. In diesen Liebesbeziehungen gibt es weder vor Verzückung aussetzende Flötentöne noch große Arien. Manchmal fangen sie mit einer Streiterei an oder mit Langeweile. Manchmal beginnen sie mit einem Verhältnis, und nach einer zweijährigen Liebesbeziehung wissen beide immer noch nicht, dass dies die richtige, schicksalhafte, fünfunddreißig Jahre dauernde Verbindung ist. Deshalb lauschte ich, zum Applaus bereit, zweifelnd, der großen Arie.
    DIE KÖRPER
    Erinnerungen an Körper leben in uns und leuchten. Die Erinnerung an Körper, die wir kannten, Rohstoff der Liebe, des Instinkts, aus denen Verlangen und Fantasie für Augenblicke Meisterwerke geformt haben. Ich erinnere mich an stolze, fröhliche, gleichgültige, an eiskalte und glühende, kindliche und einfältige, an erstaunlich selbstvergessene, bescheidene und dienstbeflissene, an nach Champagner schmeckende, elektrisch geladene, an ruhige und überhebliche, elfenbeinfarbene, schneeweiße, wie die Zähne eines Negers blendende, mispelbraune, nach Zimt riechende, zitternde und hochmütige Körper. Ich erinnere mich an Gestalten, die, wie das Meer aus dem Nebel, aus ihren abgeworfenen schweren Kleiderhüllen hervortraten. Ich erinnere mich an Körper, die in der Offenbarung der Nacktheit gänsehautüberzogen zu zittern begannen, entsinne mich der unbekümmerten Körper, die sich ohne Würde und Andacht zeigten, ich erinnere mich an solche, die wie der nackte Leib des Kumpels im Stollen inmitten der Gefahr von schlagenden Wettern und Bergstürzen wirkten.
    Jeder – Männer wie Frauen –
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher