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Márai, Sándor

Márai, Sándor

Titel: Márai, Sándor
Autoren: Die vier Jahreszeiten
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entgegenstreckend. Seine Worte verstehe ich nicht. Er lächelt.
    Die Stimme von F., als das Schiff in Athen ablegt. Sie lehnt an der Reling, der warme Wind lässt ihre Schleier flattern. Sie sagt etwas über die Augen der Menschen, die griechischen Augen. Verlegen sprechen wir französisch, ein wenig heiser.
    Ernős Stimme. Er sitzt im Uniformrock, blass, am Abendbrottisch, raucht die Marke »Dame«, mit zitternden Finger schnippt er die Asche ab und sagt: »Die Zeit wird kommen, da auch der Kaiser von China gern Wirsing isst.« Er spricht mit deutschem Akzent und atmet schwer, ist bereits krank.
    Die Stimme E.s. Wir liegen im Bett einer verwanzten Pension an der Rákóczi-Straße, lachen über etwas, unten auf der Straße ist Revolution, wütet die schwarze Pest. Ich weiß nicht, was sie sagt. Ihre Augen glänzen, sie hat eine üppige Frisur, beginnt Fett anzusetzen.
    Auch tagsüber sprechen mich die Stimmen an, auf der Straße, in der Menge. So schneidend und mit individuellem Tonfall und Klang … auch ihre Atemzüge höre ich. Nichts geht verloren. Es leben bereits Menschen, die sich an meine Stimme erinnern werden.
    DIE SICH SCHEIDEN LASSEN
    Die sich scheiden lassen sprechen auch später, nach Jahren, wenn bereits jede Erinnerung Asche und erkaltete Lava ist, leicht echauffiert über das Ereignis, als wäre die Entscheidung des Gerichts – also das Faktum, dass sie sich in der Tat bereits von Tisch und Bett getrennt haben und Bett und Tisch, die sie einst verbanden, vielleicht schon auf einem Flohmarkt verrotten und sie längst einen anderen lieben, mit einem oder einer anderen leben – doch kein ausreichender Beweis. Sie reden so, verhalten schwärmend, als bestände die Verbindung noch, ohne Tisch und Bett, ohne das Zusammenleben, als hätten sie noch das Recht und die Möglichkeit, vom anderen etwas zu fordern, was diese oder dieser nicht zurückerstattet, sondern versteckt oder gestohlen hat, er war nicht Kavalier genug … sie verlangen noch immer etwas vom anderen. Was fordern sie? Sie wissen es nicht genau, wenden den Blick ab, murmeln etwas. Dann fällt es ihnen ein: Sie fordern das Glück.
    WIEN
    An Wien denke ich immer noch als die einzige Stadt, in der ich hätte leben können. Ich sehe ihre Straßen, höre ihr wienerisches Idiom, erinnere mich ihres Lachens, in meinen Ohren klingt ihre Melodie. Sehe öde Mietskasernen mit düsteren Wohnungen, Alkoven und Vorzimmer mit Küchendunst; und irgendwo wird pausenlos Klavier gespielt; die Mädchen sind so lieb und natürlich, und ihre Liebe verpflichtet zu nichts. Jeder tratscht, aber so delikat und elegant, dass die Verleumdung, diese typisch wienerische Nachrede, nicht besonders wehtut. Jahre vergehen, und ich steige in Wien nicht mehr aus, sehe seine Hausdächer und Türme, den Prachtrasen der Schönbrunner Gärten und die gelben Palais nur durchs Abteilfenster des Zuges. Aber immer denke ich an Wien. So wie Graz die Stadt der pensionierten Generäle, so ist Wien die Stadt der pensionierten Schriftsteller und Künstler. Hatte einer seiner Heimat und der menschlichen Gesellschaft, der er angehört, bereits alles gesagt, so ging er still nach Wien, setzte sich ins Gartenzimmer irgendeines einstöckigen Hietzinger Hauses, lauschte der ewigen Klaviermusik und erinnerte sich.
    CLOWN
    Diese Frau ist ein Clown, ein netter Clown. Sie spielt auch ein wenig Klavier; vielleicht ist sie ein Musikclown. Grell geschminkt, tändelt sie mit Narrenkappe und Tüllröckchen vor dem hoch geschätzten Publikum, also vor den Herrschaften, vor jedem Herrn, auch sonntagnachmittags, für Soldaten vom Feldwebel abwärts um den halben Preis. Ihre Kunststücke sind urig und volkstümlich, derb. Wahrscheinlich sind sie deshalb so wirkungsvoll. Sie ist keine Frau, die Arme, ach woher. Ein Clown, ein Sexualclown.
    EINSAMKEIT
    Sie trauen sich nicht, allein zu bleiben, weil sie Angst haben. Das wundert mich nicht. Sie fürchten, dass sie mit sich allein bleiben in diesem düsteren Wald, der die Traurigkeit des Daseins ist, sie haben Angst, dass sie sich selbst darin mit einem Knüppel niederschlagen und ausrauben, sich Geld und Leben nehmen. Deshalb flüchten sie zum Licht! Sind überall dort, wo die Lampen brennen, wo Musik erklingt, wo man sich vor dem anderen verstecken kann. Eine schreckliche Angst ist das. Viele nehmen lieber den Tod in Kauf als diese andere Einsamkeit, mit sich allein zu sein.
    GRUNDSÄTZE
    Wasch dir die Hände, bevor du zu schreiben beginnst. Und dann reinige
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