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Manhattan Fever: Ein Leonid-McGill-Roman (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Manhattan Fever: Ein Leonid-McGill-Roman (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Titel: Manhattan Fever: Ein Leonid-McGill-Roman (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
Autoren: Walter Mosley
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Witz, aber wenn ich Ja gesagt hätte, hätte Tatyana die nächste Woche nicht überlebt.
    »Ich komme darauf zurück«, sagte ich.
    Ich klopfte dem Mörder auf die Schulter und ging ins Haus.

7
    Katrina und ich wohnten seit mehr als zwanzig Jahren in dieser Wohnung. Meistens ging ich die zehn Treppen in den elften Stock zu Fuß. Das war mein buddhistisches und mein Box-Training. Die Buddhisten lehren einen, dass man in seinem Leben jede Tat und jede Fügung bedenken muss. Sie sagen, dass das Leben, alles, was man tut und nicht tut, Handlung ist, die ans Licht des Bewusstseins gebracht werden muss. Für den Boxer ist es einfacher – man muss in Form bleiben.
    Also stürmte ich die einhundertvierzig Stufen hoch, betrachtete Winkel und Risse, die ich wiedererkannte oder auch nicht, während ich mich auf die gesteigerte Intensität meiner nur leicht fiebrigen Atmung konzentrierte.
    Die Tür zu unserer Wohnung stand offen. Ich hatte an dem mit Titan verstärkten Portal ein überaus ausgeklügeltes Schließsystem installiert. Das Schloss war sowohl mechanisch als auch elektronisch. Wenn die Tür sich schloss, rastete ein Metallbolzen im Boden ein. Nur das Signal der Familienschlüssel oder eine Drehung am inneren Knauf konnten ihn wieder lösen. Aber was nutzte das, wenn man die Tür offenstehen ließ?
    Ich betrat den kleinen Flur und zog die Tür hinter mir zu. In der Ecke stapelten sich ein halbes Dutzend Kisten mit einem Haufen zusammengeknüllter schmutziger Kleidung obendrauf. Die Kleider gehörten Dimitri. Die Tatsache, dass sie ungewaschen und ungefaltetwaren, sprach Bände über das Drama, das aus der großen Vorkriegswohnung an meine Ohren drang.
    Am Ende des Flurs, wo die Schlafzimmer lagen, hörte ich Dimitris bellende Stimme. Er redete mit jemandem, das konnte man an den Pausen zwischen seinen Tiraden erkennen. Er war wütend, er brüllte. Das war merkwürdig, denn sonst erhob mein Sohn seine Stimme nur gegen mich, meistens, um seine Mutter zu verteidigen. Nicht, dass ich Katrina je angegriffen hätte. Es war bloß so, dass zwischen dem jungen Mann und seiner Mutter eine enge Bindung bestand – eine, die viel stärker war als alles, was sie und mich je verbunden hatte.
    Aus dem Esszimmer hörte man erregte Stimmen und besänftigende Nebengeräusche. Ich erkannte die Streitenden an ihren Stimmen und wollte gerade dazwischengehen, als Mardi Bitterman aus dem Flur zum Schlafzimmer kam. Sie trug ein Kleid, dessen Saum bis zu ihren Knöcheln reichte; ein verblasster violetter Fetzen, weit und fadenscheinig – die Jung-Mädchen-Variante von Twills T-Shirt und Jeans.
    Mardi war knapp 1,70 Meter groß, hatte blasse Haut, blasse Haare und blasse Augen. Sie war schmächtig, aber ungewöhnlich willensstark. Sie trug einen mittelgroßen Pappkarton.
    »Hi, Mr. McGill.« Das schwache Lächeln, das sie mir schenkte, war Ausdruck größerer Heiterkeit als mein Gewieher auf der 10 th Avenue.
    »Mardi. Was ist hier los?«
    Meine Empfangssekretärin und Mädchen für alles stellte den Karton mit einem Seufzer ab, den ich nicht hörte, sondern nur in ihren Augen sehen konnte.
    »Mrs. McGill ist aufgebracht, weil Dimitri auszieht. Ich glaube, sie mag Tatyana nicht. Und Dimitri ist in seinem Zimmer und ist wütend auf seine Mutter und sagt alle möglichen schrecklichen Sachen über sie. Twill und ich haben das Packen übernommen, aber das ist okay.«
    Mardi, deren Eltern sie an einen Kinderschänder verkauft hatten, bevor sie sich mit Worten hätte wehren können, musste der Krieg zwischen Mutter und Sohn wie häusliches Glück vorkommen.
    »Was ist mit Shelly?«, fragte ich.
    »Sie hat die meiste Zeit versucht, Mrs. McGill zu beruhigen.«
    »Wirklich? Was für ein Wunder ist das?«
    Mardi lächelte. Sie sprach nur, wenn sie etwas zu sagen hatte – eine rare Qualität bei Amerikanern jeden Alters.
    Ich ging zum Esszimmer, während Mardi sich wieder in Richtung des Radaus bewegte, den mein Ältester veranstaltete. An der Tür blieb ich stehen und lauschte. Alte Gewohnheiten wird man nur schwer los.
    »Diese Schlampe hat meinen Sohn gestohlen«, klagte Katrina.
    »Sag das nicht, Mom«, sagte Shelly, stets das mittlere Kind. »D ist dreiundzwanzig. Es wird Zeit, dass er auszieht.«
    »Mein ganzes Leben ist beschissen. Dimitri ist beschissen und du auch. Schlampen und Dreckskerle, das seid ihr alle.«
    »Mom«, flehte Shelly. »Du hast bloß zu viel getrunken, das ist alles. Dimitri liebt dich. Und ich auch.«
    Ich hätte nie
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