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Manhattan Fever: Ein Leonid-McGill-Roman (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Manhattan Fever: Ein Leonid-McGill-Roman (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Titel: Manhattan Fever: Ein Leonid-McGill-Roman (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
Autoren: Walter Mosley
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wir zusammen. Sie hat mir gleich klargemacht, dass ich mein Verbrecherleben aufgeben muss, wenn ich weiter von ihrem süßen Zucker naschen will. Und welcher halbwegs vernünftige Mann würde da widersprechen?«
    Ich grinste breit. Lemon Charles glich einem Zauberkunststück, das mich mit einer unerwarteten Verwandlung erfreut hatte. Der glücklose Gangster war verschwunden, stattdessen stand ein neuer Mensch vor mir. Der Taschenspielertrick ergab einen Sinn, auch wenn er alles in allem unmöglich erschien.
    »Mr. McGill?«, fragte jemand.
    Ich drehte mich um und sah, dass die Polizisten ein eigenes Zauberkunststück vollbracht und sich von zwei in drei uniformierte Beamte vervielfältigt hatten.
    »Sie können gehen«, erklärte die Neue, eine Asiatin, Lemon.
    Zum ersten Mal wurde Lemons Lächeln schwächer, es verschwand nicht ganz, verblasste aber wie das Licht am Ende des Tages.
    »Gehen Sie nur, Mr. Charles«, sagte ich. »Ich wäre ungern der Grund dafür, dass Ihnen der Zucker von der Schwarte geputzt wird.«
    Er sah mir direkt in die Augen, nickte, musterte die Bullen, als wollte er sagen, dass er mitbekommen hatte, was hier geschah, und trat dann den Rückzug an. Als ich ihm nachblickte, sah ich Charlene die Rolltreppe herunterkommen. In der Hand hielt sie eine Flasche, die nach Coke Zero aussah.
    »Was machen Sie hier?«, fragte ein großer milchschokoladenfarbiger Polizist.
    »Ich wollte den Bus um 9.47 Uhr aus Albion abpassen. Er ist allerdings erst um kurz vor zehn gekommen.«
    »Wozu?«, fragte sein Partner, ein Weißer, ein Stück kleiner, mit breiter Brust und ebensolchen Schultern.
    »Jemand hat mir erzählt, dass Frauen, die frisch aus dem Gefängnis kommen, leicht zu überreden sind … Wenn Sie wissen, was ich meine.«
    »Sie haben aber offensichtlich keine derartige Begleitung«, bemerkte die Polizistin.
    »Ich wurde falsch informiert.«
    »Und was machen Sie dann noch hier?«, fragte der schwarze Bulle.
    »Ich rede mit Ihnen, mein Freund.«
    »Ich bin nicht Ihr Freund.«
    »Da haben Sie recht«, stimmte ich ihm zu.
    »Was haben Sie in Ihren Taschen?«, fragte der weiße Bulle.
    »Alles, was ich gemäß der Verfassung bei mir haben darf.«
    »Das hier ist kein Spiel.« Der weiße Bulle hatte braune Haare und Augen in demselben Farbton, nur ein wenig dunkler. Er hatte einen Streifen an der Schulter und drei Sommersprossen auf der linken Wange.
    Ich drehte mich weg und ging. Das war die einzige Alternative, die mir diesseits von Körperverletzung blieb. Sie hätten mir folgen können. Aber das taten sie nicht. Ich fragte mich, warum.

6
    Ich war es gewohnt, dass die Polizei mich anhielt. Mein Name und mein Gesicht waren unter den Gesetzeshütern wohlbekannt. Sie unterstellten mir alles von Auftragsmord bis zu bewaffnetem Raubüberfall, von Kidnapping bis Mädchenhandel. Man hatte mich aus dem Bett gezerrt und festgenommen und vor mehr Gerichte geschleift, als in Sweet Lemon Charles’ Universum existierten.
    Bis zum vorletzten Jahr hatte ich meinen eigenen Privatbullen – Carson Kitteridge. Er schaute etwa einmal im Monat vorbei und machte listige Andeutungen. Wenn irgendjemand je mein Ruin sein würde, dann war es Carson. Aber er hatte aufgehört, mich zu besuchen, und auch wenn die Polizei mir das Leben nach wie vor schwer machte, schien sie sich in der ganzen Stadt zurückzuhalten. Ich wusste nicht, was geschehen war oder warum, doch ich hatte beschlossen, dieses vorübergehende Geschenk des Schutzheiligen der Diebe anzunehmen, wer immer er oder sie sein mochte.
    Wichtiger war mir auf meinem Weg über die 10 th Avenue Lemon Charles. Er hatte sein Leben als Gewohnheitsverbrecher in die Hand genommen und auf den Kopf gestellt, und sei es auch nur für kurze Zeit. Er schrieb Gedichte, handelte damit, schlief nachts mit einer Dichterin und wurde von den Bullen höflich gebeten zu gehen, weil sie in ihm einen Touristenführer undkeinen Kleinbetrüger sahen. Das gab Anlass zur Hoffnung.
    Ich fragte mich, ob ich die mir auferlegte Rolle einfach abwerfen konnte wie den Mantel eines entthronten Prinzen. Vielleicht könnte ich Dichter oder Mathelehrer für Fünftklässler werden …
    Die Vorstellung amüsierte mich. Die Belustigung erwischte mich unvorbereitet, und ich musste so laut lachen, dass zwei junge Frauen, die mir entgegenkamen, auf die Straße auswichen, um mir aus dem Weg zu gehen. Ich hatte ein schlechtes Gewissen und wollte mich bei ihnen für den Ausbruch entschuldigen. Aber allein die
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