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Manhattan Fever: Ein Leonid-McGill-Roman (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Manhattan Fever: Ein Leonid-McGill-Roman (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Titel: Manhattan Fever: Ein Leonid-McGill-Roman (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
Autoren: Walter Mosley
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war.
    »Ja?«, fragte ich.
    »Wie wär’s mit uns beiden?«
    »Ich hab aufgehört, es in der Öffentlichkeit zu treiben, als ich zum zweiten Mal von der High School geflogen bin. Da hat deine Mutter noch in die Windeln gemacht.«
    »Ich hab einen Schlüssel für die Hausmeistergarderobe oben«, sagte sie unbeeindruckt. »Hinlegen geht nicht, aber es gibt einen Stuhl und eine Kette vor der Tür, damit wir nicht gestört werden.«
    »Wie bist du denn da dran gekommen?«, fragte ich – professionelle Neugier.
    »Ich mach den Hausmeister glücklich und geb ihm dreißig Dollar am Tag. Ein Blow-Job kostet Sie fünfundzwanzig.«
    Das Fieber hatte viele Facetten. Es war ein Quell der Offenbarungen, aber auch brutal. Im Meer meiner Phantasie detonierte eine Wasserbombe, als das Kind mit Worten den Akt andeutete, den zu vollziehen sie bereit war. Muskeln in meinem Unterleib zuckten, und ich grinste lüstern bei der Vorstellung.
    »Ich hab gleich erkannt, dass Sie Interesse haben«, sagte sie mit der Gewissheit jugendlicher Macht.
    Ich atmete tief ein und suchte nach den richtigen Worten.
    »Ich hab ein Kondom, das Sie überstreifen können, wenn Sie Angst vor Krankheiten haben oder so«, fügte sie hinzu.
    Ich ging nur selten zu Prostituierten, doch ich hatte seit Monaten keinen Sex mehr gehabt. Meine Frau hatte andere Interessen, und meine Freundin hatte mich aus Rücksicht auf ihre geistige Gesundheit in die Wüste geschickt.
    »Ich, ich warte auf jemanden«, sagte ich und musste selbst über mein ungewohntes Stottern lächeln.
    »Die könnten warten«, zischte die Ghula. In diesem Moment hatte sich das Fieber mit meiner Seele verbunden – der Seele, an die ich nicht glaubte. Ich hatte das Gefühl, dass diese ätherische Busbahnhofbewohnerin das Fieber und den bösen Geist direkt aus mir heraussaugen könnte. Das verhieß eine so tiefe Erleichterung, dass ich kurz erwog, ihr zur Hausmeistergarderobe zu folgen.
    »Missy, Kleines! Du siehst gesund aus, Kind.«
    Die Worte drangen nur abstrakt in mein Bewusstsein, weil die junge Prostituierte mir gleichzeitig direkt in die Augen sah. Ihre Augen waren eisblau, unbarmherzig und trotzdem wie Laser in ihrem wortlosen Verständnis meiner Bedürfnisse.
    Der Mensch ist ein Tier, Trot , hat mein alter Herr immer gesagt, vergiss das nie .
    »Alyssa!«, rief eine Frau.
    »Mama!«, rief eine andere Frau mit heiserer Stimme.
    »Willst du es?«, flüsterte die junge Prostituierte.
    Ich war bereit, mit ihr zu gehen, zumindest wollte ich bereit sein, doch dann sah ich, wie die Frau, mit der ichvorher geredet hatte, mit einem dunkelhäutigen Mädchen in Jeans und einem knallgrünen T-Shirt, das zwei Nummern zu groß für sie war, wegging.
    Ich drehte mich um und sah, dass der Bus angekommen war und zumindest einen Teil seiner Passagiere abgeladen hatte. Junge und weniger junge Frauen gingen zu den Treppen, Rolltreppen und Fahrstühlen nach oben. Nur wenn sie von einem geliebten Menschen abgeholt wurden, lächelten sie. Ich drehte der weißen Frau den Rücken zu und behielt die Tür zum Bussteig im Auge.
    Sie hatte rote Haare, trug einen orangefarbenen Trainingsanzug aus Kunstseide, einen mattgrünen Rucksack und einen säuerlichen Ausdruck im Gesicht.
    »Zella!«, rief ich.
    Ich hob meine schwere Pranke und winkte. Sie wich zurück wie vorhin Missys Großcousine und beugte sich dann vorsichtig in meine Richtung.
    Ich drehte mich um, weil ich mich bei der jungen Weißen entschuldigen wollte. Aber sie war verschwunden. Ich suchte die Umgebung nach ihr ab, aber sie schien sich in den wenigen Sekunden in Luft aufgelöst zu haben. Jetzt machte ich mir Sorgen, dass hinter dem Fieber doch mehr steckte, als ich geglaubt hatte. Konnte die ganze Begegnung eine Halluzination gewesen sein? Trieben mich meine Begierde und meine Verwirrung langsam in den Wahnsinn?
    Diese Frage würde bis auf Weiteres warten müssen. Ich hatte einen Job zu erledigen, und sie stand ein paar Meter entfernt und blickte mich finster an wie so viele andere in meinem langen Leben voller Missetaten.

2
    »Kenne ich Sie?«, fragte Zella, als ich auf sie zukam. Ihr wildes rotes Haar war nach hinten gekämmt, ansonsten jedoch ungebändigt. Es wollte sich aufstellen wie die Stacheln eines Igels oder das Fell einer wütenden Katze. Ihre Körpersprache strahlte unverkennbar Gewaltbereitschaft aus – garantiert ein Relikt aus ihrer Zeit im Hochsicherheitsgefängnis in Bedford Hills, bevor sie in die weniger harte Umgebung der
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