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Maler und Mädchen - Maler und Mädchen

Titel: Maler und Mädchen - Maler und Mädchen
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selbst sah am darauffolgenden Abend in den Spiegel. Ritzte sich selbst mit feinen, kaum ungeduldigen Strichen in den Vordergrund der häuslichen Szene, während er besorgt die Topographie von Linie, Form, Hell und Dunkel prüfte.
    Danach kamen die Winter, in denen er sie nicht aufs Eis bekam, mal weil sie schwanger war, mal – einfach so. Bis zum Winter 40/41, als der Frost erst in der Woche vor Weihnachteneinsetzte, dann aber gleich unerhört streng. Das IJ war im Nu zugefroren. Kühl, sorgfältig hatte sie an der Küchenanrichte ihre Schlittschuhe in Ordnung gebracht.
    Worauf sie also erneut von der Stadt hinüber zu der Eisbahn entlang der Halbinsel Volewijck liefen. Diesmal er vor ihr her, ihr Windschutz bietend. Sie hustete bereits zu jener Zeit, war bereits krank, noch nicht sehr, aber doch genug, um froh über die Kraft ihres Mannes zu sein. Natürlich konnte sie es noch, alles ging gut. Er hörte sie versiert die Schlittschuhe aufs Eis setzen und brauchte sich nicht einmal umzudrehen, um zu wissen, wie hübsch sie aussah, dank der geheimnisvollen Schönheit, die ein unerschütterliches Verlangen jeder Frau verleiht. Bei den Buden vor den Galgen hatten sie einen Becher Anismilch und einen Genever getrunken. Als er zur Seite schaute, war sie genau so, wie er sie sich auf dem Weg hierher vorgestellt hatte, blaß und angespannt, wach und müde, entschlossen, lieb, frivol, schon von vornherein willig wie ein leichtes Mädchen oder wie eine Frau, die nach drei toten Kindern jetzt endlich, nach sechs Jahren Ehe, koste es, was es wolle, ein Kind will, das am Leben bleibt. Ihr letzter Gang zu einem Stückchen auf die Seite geschobenem Basalt im Fußboden der Zuiderkerk lag gerade vier Monate zurück. Das Federgewicht in seinen Armen war ein Mädchen gewesen und wie ihr zwei Jahre älteres Schwesterchen nach seiner Mutter benannt, Neelie. Beide Mädchen hatten drei Wochen gelebt.
    Er hatte sie interessiert die Augenbrauen hochziehen sehen: Da kam ein Mann mit einem großen, zappelnden Fisch in den Händen auf Schlittschuhen auf die Bude zu.
    »Wo hast du den denn her?« fragte sie, nachdem der Mann vor ihnen gestoppt hatte.
    Der Mann, den Blick bereits auf den Alkoholfäßchen, verkündete stolz: »Zuerst dachte ich, es ist eine Brasse, aber es ist ein Hecht!«
    Sie hatte laut losgelacht, und einen Augenblick lang hatte er wieder wie ganz zu Anfang die Friesin gesehen, in die er sich verliebt hatte, alias die Kleine Rote, die über alles lachen konnte. Jede Spur von Traurigkeit war aus ihren Augen verschwunden, genau wie die Lebensweisheit, die sie inzwischen erlangt hatte, die Todesweisheit, an die sie auf eine einfache, natürliche Art und Weise gewöhnt zu sein schien, eine Blessur, die da ist und nicht vergeht und mit der man folglich jeden Tag und auch nachts, in den intimsten Augenblicken, konfrontiert ist, weil es nun mal nicht anders geht. Und immer, wirklich immer waren sie von Kindern umgeben! Jeder hatte welche! Jeder! Die Nachbarn, die Ladenbesitzer, die Verwandten, die Freunde, es wimmelte nur so von dem Kroppzeug, das einem auf den Schoß krabbelt und einen an den Haaren zieht! Er hatte sie immer gern gezeichnet, und sie hatte die hingestrichelten Skizzen auch immer gern sehen wollen, hatte gerührt gelacht, wenn er ihr das Zeichenbüchlein, das praktische Täfelchen mit den abwaschbaren Blättern, vor die Nase hielt. Ach herrje, wie süß. Einmal jedoch verließ sie den Kreis im Wohnzimmer und trottete die Treppe hinauf in den ersten Stock. Früher Abend, das Atelier lag in Dunkel gehüllt, aber nicht ganz, denn der Himmel war nicht bewölkt, es war Vollmond. Was konnte er zu dieser Stunde tun? Nichts, nur schauen. An der Wand gegenüber den Fenstern stand das große Bild eines Jägers, der seine Beute, eine Rohrdommel, an den Füßen in die Höhe hält. Er beugte sich etwas näher zu ihm hin. Nickte nachdenklich. Fühlte sich schon wieder besser als geradeeben. Sehr gut, dachte er und inspizierte in diesem Augenblick nicht die Schatten und die Melancholie des Männergesichts, wie durch einen Trauerflor gesehen, sondern die vortrefflich gelungene Bauchpartie des abgeschossenen Vogels, Federn, Flaum, Licht. Die pure Freude, das alles auf diese flotte, treffsichere Weise zu malen, spürte er noch immer in den Fingern.
     
    Die Unwirklichkeit von Wasser, das hart wie Stein geworden ist, löscht nicht die Verzweiflung im Herzen, bringt aber doch den Übermut zurück.
    »Wollen wir nach Hause?« hatte sie
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