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Maler und Mädchen - Maler und Mädchen

Titel: Maler und Mädchen - Maler und Mädchen
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gefragt.
    Er sah, daß die Luft auf dem Eis sie stark belebt hatte. Er spürte ihre Bereitschaft, ihre Gier. Die Frau, die will – es gibt keinen Mann, der nicht wie hypnotisiert darauf reagiert, ein solcher Umschwung benötigt nur wenige Herzschläge. Komm! Er nahm ihre Hand, das Band zwischen ihm und ihr bestand aus Verliebtheit. Das ganze Drum und Dran – Windeln, Wickeltücher, Mützchen, die gewaschen und zum Trocknen aufgehängt werden mußten – floß weg in einen sehr dunklen Hintergrund. Unselige Mutterschaft und pure, lichte Weiblichkeit sind völlig verschiedene Welten. Als sie nach Hause kamen, sagte sie, sie sei müde, wohlig müde, und wolle ins Bett, bei geschlossenen Vorhängen.
    Das Kind wurde haargenau vierzig Wochen später geboren. Mitte September, es war noch sehr schönes Wetter. Das Haus strömte voll mit Bewunderern.
    Daß eine erschöpfte Mutter doch so ein kräftiges, handfestes Bürschchen zur Welt bringen kann!
    Danach hat sie ihr Söhnchen noch prächtig das Hindernis der ersten Monate nehmen sehen, als wären sie nichtsanderes als das, was sie waren, Herbstsonne und Bäume, die zuerst golden wurden und dann kahl und schwarz. Niemand konnte sie davon abhalten, selbst zu stillen, und was ihr darin rundheraus recht gab, war das immer schwerer werdende Bündel, das sie in ihren Armen herumtrug, herumtrug, als müsse sie es auf die andere Seite der Wüste bringen. Der erste Winter des Jungchens, sein erster Frühling. Auch das hat sie alles noch erlebt.
    Er war sehr beschäftigt gewesen, gerade in diesem Jahr. Wegen eines kolossalen Schützengemäldes, an dem er arbeitete, hatte er eine Lagerhalle im westlichen Hafengebiet gemietet und war tagsüber selten zu Hause. Nachts im Bett lauschte er ihrem Husten, half ihr, das Blut auszuspucken, betete im stillen, wenn er sie wieder gleichmäßig atmen hörte, bat den guten Gott, ihr noch ein wenig Zeit zu schenken, notfalls nur ein Jährchen, und sank in einen Schlaf, in dem die Details seines Gemäldes ihn mit den reizendsten, frechsten Vorschlägen bedrängten.
    Am 5. Juni, morgens, haben sie den Notar kommen lassen.
    Elf Tage später verhandelte er über ein Eigentumsgrab in der Oude Kerk.
    Sie waren neun Jahre zusammengewesen.
    Wenn er nach Hause kam, in der ersten Zeit nach ihrem Tod, wußte er nicht recht, was er dort sollte. Man fängt dann schon bald an herumzukramen, ziellos Gegenstände zu betrachten. Auf diese Weise zog er im Magazin seines Ateliers einmal ein vergessenes Skizzenbüchlein hervor und schlug es auf. Sein Atem stockte. Sie. Seine junge Verlobte an einem Sommertag in Friesland. Unter einem Strohhut hervor blickt sie unbekümmert in seine immer wieder zu ihraufsehenden Augen, ihrer Schönheit sicher, sanft, unschuldig, von jedwedem Drama unberührt.
    Er schloß das Büchlein und auch die Augen. Es war nicht zu ertragen. War sie im tiefsten Grunde ihres Wesens dieses, buchstäblich dieses Bild gewesen? Die Sanftheit, der Frohmut in Person, hinter dem niederträchtigen Rücken des Schicksals?

29
Noch nicht
    Als sie mit dem Boot näher kamen, hatte der Maler das Mädchen sofort bemerkt. Man hatte sie in einer Reihe mit zwei ihrer elenden Vorgänger an dem Weg plaziert, der zu dem wichtigsten Blickfang in diesem Gebiet führte, dem Galgenrund. Während das Boot auf einen Sandstreifen im Schilf zusteuerte, hatte der Maler das Mädchen mit dem Gesicht zur Stadt an dem Pfahl hängen sehen, auf dem Gemeindearbeiter sie vor ein paar Stunden ausgestreckt festgebunden hatten, bevor sie ihn mit dem geteerten unteren Ende sechs Fuß tief in der Erde versenkt hatten.
    »Was bekommst du von mir?« fragte der Maler.
    Der Fährmann verlangte einen Stuiver.
    Der Maler bezahlte, wollte den Mann loswerden, hatte keine Lust auf eine wie auch immer geartete Anteilnahme seitens dieser lustlosen, mißtrauischen Person an dem, was er hier tun oder auch nur anschauen wollte. Er würde schon irgendwie in die Stadt zurückkommen, ein Stück weiter, am Zollhaus, lagen Boote.
    Während der andere davonsegelte, blieb der Maler noch kurz stehen, kniff die Augen halb zusammen, lauschte der Stille. Bei dieser Brise von West hörte man nur das trockene Rascheln im Schilf und die Rufe einiger Vögel. Er ging ohne Interesse an den anderen Kadavern in Richtung des Mädchens,dort ganz rechts in der schmutzigen, reglosen Landschaft, die ihm merkwürdig vertraut vorkam, auch wenn er nicht daran dachte, daß er eine solche Landschaft einst fast genau so als
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