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Malchatun

Titel: Malchatun
Autoren: Johannes Tralow
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byzantinischen Gebiet. Aber wenn es auch einmal keinen seldschukischen Kaiser in Ikonium mehr geben sollte, pflegte er zu sagen, und selbst keinen byzantinischen Kaiser in Konstantinopel, so sei und bleibe er der Kaiser von Angelokoma, der Engelsburg unfern des spiegelnden Sees, den die Gottverfluchten zum Anlaß nehmen, sein ehrbares und festes Haus in ihrer schweinischen türkischen Sprache Ainegöl zu benennen: Spiegelsee.
    Es lag nahe, die fehlenden Hammel und Rinder der Ertoghruler in den Ställen eines solchen Mannes zu vermuten, und Osman war entschlossen gewesen, mehr noch den Hohn als den Verlust durch einen plötzlichen Überfall auf Ainegöl zu rächen. Doch sein Vater Ertoghrul hatte nach den Beweisen gefragt, und da hatte Osman keine gehabt. Erst einem Worte des Priesters Edebali war Osmans Vater zu weichen gewillt; aber dieses Wort war von Edebali verweigert worden.
    Was hatte Malchatun nun zu sagen?
    »Der Koran widerspricht dir, o Osman«, sagte sie. »Vor dem Sturm ist der Belagerte zur friedlichen Übergabe aufzufordern. So befiehlt Allah durch seinen Propheten.«
    Freiwillig lasse der Matthäos Botoniates niemals seine Burg durchsuchen, war Osmans Antwort, nur durch einen Handstreich sei das zu erlangen.
    »Vergiß nicht, Osman, der du ein gutes Gewissen so gering anschlägst: Ein Ruf als frommer und gerechter Mann kann dir auch einmal Nutzen bringen, wie er ihn deinem Vater gebracht hat.« - Ganz wie zu einem trotzigen, aber gutherzigen Kinde sprach sie. -
    »Einen ungerechten Nachteil aber abzuwehren«, war ihre weitere Entscheidung, »verbietet der Koran dir nicht. Lasse den Botoniates bespähen.«
    Er könne nicht Tag und Nacht, grollte Osman dawider, gegen den Strolch streifen lassen!
    »Du hast das kaiserliche Diplom und kannst weiden lassen«, entgegnete sie ihm. »Es wird doch irgendwo in der Nähe von Ainegöl ein Wasser geben, wo du zum Schutz der Herde einen Turm aufstellen kannst?«
    »Das Weiden ist uns erlaubt, nicht, Mauern zu errichten.«
    Als Malchatuns Antwort kam ein feines Lächeln.
    »Ich sprach nicht von Mauern«, dehnte sie dann die Silben. »Du läßt Balken zerschneiden und kommst mit allem, was zum Bau gehört, nachts an den Ort. Ehe der Morgen graut, wirst du deinen Turm schon mit wenigen Leuten verteidigen können, deinen hölzernen Turm, deinen Tschardak, der kein Mauerwerk ist, und tags mit Fahnen, nachts mit Feuerbränden werden deine Reiter dir weithin berichten, was in Ainegöl vorgeht.«
    Osman verschlug es zuerst die Rede.
    »O Kadin, meine Herrin, du hast recht!« entfuhr es ihm dann. »Tochter meines Lehrers, ich hätte nie geglaubt, daß es Frauen gebe, die so klug sind wie du, Malchatun.«
    Nicht lange danach warb Osman um das Mädchen, erhielt aber eine abschlägige Antwort. Ihn dünke seine Tochter, erklärte Edebali, für den Sohn eines Stammesfürsten von zu bescheidener Herkunft. Nun war aber Edebali nicht nur ein berühmter Mann, sondern seiner Abstammung nach ein Koreischite, also von arabischem Adel, dem stolzesten und hochmütigsten der Erde. Es war nicht wahrscheinlich, daß er seine Tochter für zu gering halte.
    Ertoghrul umgürtete sich also mit dem ganzen Stolz der Steppe, und ein Gebot ging von ihm aus im Namen der Ahnen, daß sein Sohn Osman dem Mädchen Malchatun zu entsagen habe.
    Doch er selbst und Edebali blieben Freunde.

2
    Vom Tumanidsch kam ein Wind.
    Die Blüten und Gräser verneigten sich nach Osten und Süden und richteten sich in der Freude ihres Seins unermüdlich wieder auf, um sich ebenso unermüdlich wieder zu neigen. Kaum ein Stäubchen kränkte ihr Grün oder Rot oder Weiß, über das die stolzen Schwertlilien in Blau emporschossen. Fruchtbar war die Erde am Flusse Pursuk. Blumen und Gräser siegten über den Staub, über Staub und Asche der Stadt Doryläum in Bithynien, die man in letzter Zeit immer mehr auf türkisch Eskischehr zu nennen begann, und jetzt, 1282 nach der Geburt Christi, war auch wirklich nicht mehr viel übrig, was sich gelohnt hätte, dieser Trümmerstätte den Namen des einst so hochberühmten Doryläum zu geben.
    In der Hauptsache bewohnten Schafe Eskischehr, die Ziegen nicht zu vergessen, die sich, wenn die Gelegenheit es zuließ, sogar noch vom First eines alten Tempels das Gras herunterholten. Die Menschen aber hausten in den Resten der Ruinen, die siemit Notmauern und Brettern bettelhaft zusammengeflickt hatten, falls sie nicht den Zelten, den Sinnbildern ihrer eigenen Unruhe und ihres gefährdeten
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