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Malavita: Eine Mafia-Komödie (German Edition)

Malavita: Eine Mafia-Komödie (German Edition)

Titel: Malavita: Eine Mafia-Komödie (German Edition)
Autoren: Tonino Benacquista
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jetzt erst mal warten – was sie übrigens schon lange taten. Fred wollte sich die Veranda bei Tageslicht ansehen.
    Es war März, der Tag hatte klar und mild begonnen. Maggie war sich nicht sicher, was sie zu ihrem ersten Besuch in der Stadt anziehen sollte. Zu ihrem braunen Haar, ihren fast schwarzen Augen und ihrem dunklen Teint trug sie meist braune Erdtöne; heute entschied sie sich für eine helle Jodhpurhose, ein graues T-Shirt mit langen Ärmeln und einen Baumwollpulli mit Zopfmuster. Sie schulterte ihren kleinen Rucksack, stieg die Treppe hinunter, hielt kurz nach ihrem Mann Ausschau, verabschiedete sich mit einem »Bis heute Abend«, das unbeantwortet blieb, und verließ das Haus.
    Auf der bereits sonnendurchfluteten Veranda stieg Fred ein feiner Geruch von Flechten und trockenem Holz in die Nase; frühere Mieter hatten wohl einen Stapel Holzscheite zurückgelassen. Die Rollläden des großen Glasfensters zauberten Lichtstreifen auf die Veranda, in denen Fred göttliche Strahlen zu erkennen meinte. Und es bereitete ihm großes Vergnügen, sich von ihnen bescheinen zu lassen. Ungefähr vierzig Quadratmeter maß die Veranda, sie war wettergeschützt, aber zum Garten hin offen. Fred begann nun, all den Trödel und Plunder, mit dem die Veranda zugestellt war, beiseitezuräumen, er wollte Platz schaffen. Die Erinnerungsstücke einer unbekannten Familie landeten so auf Kies und Schotter: Da war der kaputte Fernseher aus einer vergangenen Ära, da gab es Geschirr und Kupfertöpfe, abgegriffene alte Telefonbücher, ein Fahrrad ohne Räder und eine Menge anderer Gegenstände, deren man sich verständlicherweise entledigt hatte. »Ramsch! Schrott!«, brüllte Fred jedes Mal vor Vergnügen, wenn er ein neues Stück Müll aus seinem Gesichtskreis befördert hatte. Zum Abschluss seiner Säuberungsaktion wollte er einem graugrünen Köfferchen aus Bakelit mit der Wurftechnik eines Diskuswerfers den Garaus machen. Doch seine Neugier trieb ihn dazu, das Behältnis auf der Tischtennisplatte abzustellen, die rostigen Verschlüsse zu öffnen und den Deckel abzuheben.
    Schwarzes Metall. Tasten aus Perlmutt. Automatischer Wagenrücklauf. Europäische Tastatur. Das Gerät hatte auch einen Namen: Brother 900, Herstellungsjahr 1964.
    Zum allerersten Mal in seinem Leben hielt Frederick Blake eine Schreibmaschine in Händen. Er prüfte ihr Gewicht, so wie er es bei der Geburt seiner Kinder getan hatte. Dann drehte er sie in alle Richtungen und studierte Umriss und Funktionsweise dieses wunderbar veralteten Geräts, das aber mit der Vielzahl seiner Kolben, Nockenwellen und kunstvollen Beschläge von einer außergewöhnlichen Komplexität war. Mit den Fingerspitzen glitt er über die Typen R , T , Z , U und machte sich einen Spaß daraus, sie nur über die Berührung zu erkennen. Schließlich umfasste er mit beiden Händen den gesamten Typenkorb. Vergeblich versuchte er, das Farbband von der Spule abzurollen, auch das Schnüffeln blieb erfolglos. Es roch nicht wie erhofft nach Tinte. So schlug er auf die Taste N ein, dann auf viele andere gleichzeitig, bis sich mehrere Typen ineinander verkeilten. Er entwirrte sie wieder, platzierte schließlich alle fünf Finger der rechten und alle fünf Finger der linken Hand per Zufallsprinzip auf irgendwelchen Tasten und schloss die Augen. Den Morgenmantel halb offen, vom Sonnenlicht gestreift, stand er da, aufrecht, und spürte, wie eine nie gekannte Empfindung sich seiner bemächtigte.
    *
    Um unter den neugierigen Blicken von tausend Gaffern bestehen zu können, unterhielten sich Belle und Warren auf dem Schulhof auf Englisch, wobei ihr Newarker Akzent intensiv zum Einsatz kam. Französisch zu sprechen bereitete ihnen keine Probleme; nach sechs Jahren kam ihnen die Fremdsprache viel leichter über die Lippen als ihren Eltern, viele Redewendungen ihrer Muttersprache hatten sie durch typisch französische ersetzt. Aber in speziellen Situationen wie dieser hatten sie das Bedürfnis, ins vertraute Englisch zurückzufallen. So vergaßen sie weder ihre persönliche Geschichte noch das Land, aus dem sie stammten. Schlag acht waren sie im Büro von Madame Arnaud erschienen, der Beratungslehrerin am Lycée Jules-Vallès. Die hatte Belle und Warren gebeten, im Hof ein wenig zu warten. Ihre Klassenlehrer wollten sie dort in Empfang nehmen. Das Schuljahr neigte sich bereits dem Ende zu, das Schicksal jedes Schülers war schon besiegelt. Es ging nur noch um die Vorbereitung auf die nächste Klasse. Belle
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