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Malavita: Eine Mafia-Komödie (German Edition)

Malavita: Eine Mafia-Komödie (German Edition)

Titel: Malavita: Eine Mafia-Komödie (German Edition)
Autoren: Tonino Benacquista
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Christian Mounier ein ganz ordentlicher Läufer gewesen, mehr nicht. Aber als Rentner nahm er an einem Wettbewerb am Ende der Welt teil, er war jetzt ein Sportler von internationalem Rang. Ob das Leben jedem die Chance zur Wiedergutmachung bot? Ob sich jeder zu seinem Ende hin doch noch einmal auszeichnen durfte? Maggie gefiel der Gedanke, und sie blätterte weiter. Auf der nächsten Seite erwarteten sie ein Überfall auf einen Automechaniker, mehrere Diebstähle in einer Nachbarsiedlung, ein oder zwei aufgebauschte Ehekrisen sowie diverse Fälle von Geisteskrankheit. Maggie verstand nicht jedes Detail und fragte sich, warum dieses triste, banale, alltägliche Elend in jeder Zeitung der Welt an prominenter Stelle ausgebreitet wurde. Sie schwankte zwischen mehreren Antworten: Gewalt in der Nachbarschaft interessierte die Leser, weil sie es liebten, sich zu echauffieren oder sich zu gruseln. Oder ihnen gefiel der Gedanke, dass ihre Stadt doch nicht so langweilig war, wie es schien, dass hier genauso viel Schreckliches passierte wie anderswo. Oder: Die Landbevölkerung gefiel sich darin, auf die Nachteile des fürchterlichen Stadtlebens hinzuweisen. Oder – dieser traurige Gemeinplatz galt immer: Nichts machte mehr Spaß als das Leid anderer.
    In Newark hatte sie stets einen Bogen um die lokale und nationale Presse gemacht. Allein schon eine Zeitung aufzuschlagen glich damals einer Mutprobe. Es bestand immer die Gefahr, einen allzu vertrauten Namen zu lesen oder in ein allzu bekanntes Gesicht zu blicken. Und schon hatte sie der Schrecken ihres früheren Lebens eingeholt. Nervös überflog sie die restlichen Seiten der beiden Zeitungen und las nur noch den Wetterbericht und den Hinweis auf einen Trödelmarkt und eine kleine Kunstausstellung im Rathaus. In einem Zug leerte sie das Glas Wasser. Ein Gefühl der Beklemmung beschlich sie, das durch einen riesigen Schatten verstärkt wurde, der sich mehr und mehr über den Platz senkte und ihn verdunkelte. Es war der Schatten von Sainte-Cécile, einer Kirche, die gerne als ein Meisterwerk der normannischen Gotik beschrieben wurde. Lange hatte Maggie die Wahrheit erfolgreich ignoriert, aber jetzt musste sie ihr wieder ins Gesicht blicken.
    *
    Die Brother 900 stand mitten auf der Tischtennisplatte, die wiederum in der Mitte der Veranda stand; eine geometrische Symmetrie, die Frederick sorgsam arrangiert hatte. Er saß vor der Maschine, die Sonne im Rücken, und konzentrierte sich. Er spannte ein leeres Blatt Papier ein: die weißeste Oberfläche, die er je gesehen hatte. Er überprüfte jede einzelne Perlmutttaste, sie funkelten alle. Hatte er sie doch entstaubt und mit Seifenlauge gereinigt. Es war ihm sogar gelungen, das vollkommen ausgetrocknete Farbband mit Wasserdampf zu befeuchten. Alles war bereit, er war mit seinem neuen Gerät allein. Er, der noch nie einen Blick in ein Buch geworfen hatte, dessen Sprache direkt und ohne Schnörkel war und der in seinem ganzen Leben noch nichts Komplizierteres als eine Adresse auf eine Streichholzschachtel geschrieben hatte. Kann man mithilfe dieser Maschine alles sagen? , fragte er sich, ohne die Tasten aus den Augen zu lassen.
    Fred hatte nie einen seiner Gesprächspartner respektiert. Die Lüge sitzt schon im Ohr des Zuhörers. Das war Freds Meinung. Seit dem Gerichtsprozess, der ihn gezwungen hatte, nach Europa zu fliehen, war er besessen von dem Wunsch, der Welt seine Version der Wahrheit mitzuteilen. Weder die Psychiater noch die Anwälte noch seine ehemaligen Freunde noch die, die ihn verstehen wollten, hatten seine Zeugenaussage verstanden: Man erklärte ihn kurzerhand zum Monster, über das jeder sein Urteil fällen durfte. Diese Maschine aber würde keine Informationen aussortieren und sich geduldig alles anhören: das Gute und das Schlechte, das Ungerechte und das Widerliche, das Unerhörte und das Unaussprechliche. All das gehörte, auch wenn es niemand glauben wollte, zur Wahrheit des Lebens. Wenn ein Wort das nächste ergab, dann konnte er sich aller bedienen. Niemand konnte ihm bestimmte Wörter aufzwingen oder verbieten.
    Am Anfang war das Wort. Irgendjemand hatte ihm das vor ganz langer Zeit gesagt. Jetzt, vierzig Jahre später, hatte er die Gelegenheit, diesen Satz wahr werden zu lassen. Am Anfang, dessen war er sich sicher, brauchte man aber ein ganz bestimmtes Wort, aus dem sich dann alle anderen Wörter ergaben.
    Fred hob also seinen rechten Zeigefinger und schlug ein G an. Klar, deutlich und blau erschien es auf
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