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Mal Aria

Mal Aria

Titel: Mal Aria
Autoren: Carmen Stephan
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Wege kreuzten, fuhr sie mit einem Schiff aus Manaus über den Amazonas, und ich behaupte, dass diese Wege, sähen wir sie auf einer Landkarte, vor langer Zeit eingezeichnet wurden. Ich erinnere von der Reise Szenen, Bilder, manches nur schemenhaft, anderes deutlich wie Glas.
    Der Dampfer glitt in einen Nebenarm des Flusses Ariaú, legte an einem Steg an. Über den Himmel schoben sich dunkle Wolken, durch die das Licht hell glimmte. Eine Gruppe Menschen stieg aus. Beige Hosen, helle Hemden, Tropenhüte sagten nichts über ihren Charakter aus, nur ihre erbärmlichen Sehnsüchte spiegelten sich darin wider. Carmen war eine von ihnen.
    Das Gesicht trug sie hoch, im Profil sah sie aus wie die Frau auf einer Brosche. Sie war ahnungslos, wie all ihr Menschen, und hielt sich für furchtlos.
Mir kann nichts passieren
.
    Sie legte ihren Kopf in den Nacken, die Ader am Hals trat pochend hervor, sah in die tiefgrünen Wipfel. Alle ersten Blicke waren in ihrem Blick aufgehoben. Knöchrige Mangroven im Wasser. Auf einem Ast ein großer Vogel, der abwesend wirkte. Unbegreiflicher Anflug von Unruhe.
Klick, klick
. Die Kamera vor ihrem Gesicht. Die Natur war für sie etwas, das man ansehen und anfassen konnte, von dem man aber letztendlich getrennt blieb. Dabei war es ihr warmer Atem, der mich benachrichtigte, es war der Schweiß ihrer Füße. Sie lief über den Steg.
Klock, klock
. Ihre Haut roch nicht lückenlos nach dem Citrus des Insektensprays. Weiße Stellen, Inseln, auf denen man landen konnte.
    Wie naiv sie war.
    Ihr Freund interessierte mich nicht.
    Sie lebte gern, das hörte ich an den vibrierenden Wellen, die nun das Holz warf. Vor allem ihre Selbstsicherheit machte sie zu einem idealen Opfer. Am Ende entschied ich mich jedoch aus einem viel dringlicheren Grund. Ja, ich konnte gar nicht mehr anders, als ich das Blut witterte. Ihr Blut, hell und süß, das so schnell und frisch durch ihre Adern floss, dass es in meinen Ohren rauschte.
    *
    Ihr glaubt, eure Haut grenze euch ab, sie sei der Schutzgraben um euer Fleisch. Dabei ist sie der Ort eurer größten Verwundbarkeit. Ein kleiner roter Punkt, und der Tod ist drin. Wisst ihr nicht, welche Macht ich habe? Ich zitiere: »Von allen Seuchen, die die Menschheit befielen, hat keine so dauerhafte und tiefe Spuren hinterlassen wie die Malaria. Sie forderte im Laufe der Jahrhunderte wahrscheinlich mehr Opfer als alle großen Pest-, Cholera- und Pockenepidemien zusammen.« Heute noch sterben Millionen, die Hälfte von euch Menschlein lebt unter meinem Gesetz. Bestürzt euch das nicht? Glaubt ihr, ihr hättet euer Leben im Griff? Wenn ihr nicht mal eine Mücke im Griff habt? Wer stoppte Alexander den Großen, den Eroberer der Welt? Ein schwarzes Kreuz, das auf einem Fleckchen Haut landete. Die Malaria brach Kreuzzüge ab, sie warf Bettler, Kinder, Kaiser und Päpste ins Grab, wütete in beiden Weltkriegen. Nicht Kanonen, nicht die Gegner entschieden manche Schlachten, sondern ein schwebender Fleck mit ein paar Flügeln. Wer schützte Rom vor dem Einfall der Germanen – und wer half doch beim Einstürzen des Römischen Reichs? Moskitos ergreifen keine Partei.
    Malaria veränderte eure Politik, eure Geschichte; und auch das Leben derjenigen, die nicht daran erkrankten. Euer Leben.
    Hört ihr die britischen Soldaten in Sierra Leone singen? »Nehmt euch in Acht vor der Bucht von Benin, einer kommt raus, aber zehn bleiben drin.« Manche Schiffe trieben monatelang führerlos auf dem Meer, weil alle Seeleute verendet waren. Zwischen dem 17 . und 19 . Jahrhundert schwirrte der Punkt auf der ganzen Welt, verdeckte den Himmel, bis kein Licht mehr durchdrang.
    Und heute? Kommt die Malaria herein, steht auch der Tod in der Tür. Ein, zwei Wochen können genügen, wenn nichts getan wird. Gerettet ist, wer schnell behandelt wird. Die Zeit ist das entscheidende Kriterium. Und sonst? Sonst dreht man sich vielleicht in einem Augenblick in seinem Bett um, und die aufgeblähte Milz platzt. Nacheinander versagen alle Organe. In Amazonien nennen wir eine Form der Malaria »a risadinha«, die lachende Malaria – weil der Patient mit einem Grinsen im Gesicht stirbt; die schrecklichen Schmerzen ziehen ihm die Mundwinkel nach oben.
    *
    Aus den mir rätselhaftesten Gründen stach ich nicht sofort zu, obwohl es mich drängte. Ich tat etwas, das Mücken eigentlich nicht tun: Ich folgte ihr auf der Reise. Das Flugzeug nach Belém. Sie setzte sich auf 23 F, ein Fensterplatz. Beim Start faltete sie ihre
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