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Maigrets Nacht an der Kreuzung

Maigrets Nacht an der Kreuzung

Titel: Maigrets Nacht an der Kreuzung
Autoren: Georges Simenon
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gleich darauf davon. Ich bekam ihn fast eine Woche lang nicht zu sehen. Das heißt, ich konnte durch das Dachfenster des Mädchenzimmers, in dem ich versteckt war, beobachten, wie er stundenlang mit gesen k tem Kopf und sichtlich erregt durch den Park spazierte …«
    Monsieur Oscar schlug sich vor Vergnügen auf die Schenkel.
    »Das ist schön wie ein Roman!« rief er aus. »Erzähl weiter, meine Puppe!«
    »Das ist alles. Als er wieder zu mir kam, teilte er mir mit, er wolle mich heiraten, daß dies in seiner Heimat aber nicht möglich sei und wir deshalb ins Ausland g e hen müßten. Er behauptete, er habe endlich den Sinn des Lebens verstanden und ein Ziel vor Augen, anstatt länger ein unnützes Wesen zu bleiben. Und so weiter …«
    Ihr Akzent klang wieder ordinär.
    »Wir heirateten in Holland unter dem Namen Andersen. Ich fand es lustig. Ich glaube sogar, ich bin ganz gut dabei weggekommen … Er erzählte mir verblüffende Dinge. Er bestimmte, wie ich mich kleiden sollte, brachte mir Tischmanieren bei, half mir, meinen Akzent zu verlieren. Er gab mir Bücher zu lesen, besuchte Museen mit mir …«
    »Hör mal, mein Täubchen«, meinte der Werkstattbesi t zer zu seiner Frau, »wenn wir unsere Strafe abgesessen haben, wollen wir auch Museen besuchen, ja? Wir werden händchenhaltend und entzückt die Mona Lisa betrac h ten!«
    »Wir sind hierher gezogen«, fuhr Else redselig fort, »weil Carl immer noch fürchtete, einem meiner ehemaligen Komplizen zu begegnen. Er mußte unseren L e bensunterhalt verdienen, denn er hatte auf das Geld seiner Eltern verzichtet. Damit man uns nicht so leicht auf die Spur kam, gab er mich als seine Schwester aus. Aber er machte sich nach wie vor Sorgen. Wenn am Tor geklingelt wurde, zuckte er jedesmal zusammen. Hans war es nämlich gelungen, aus dem Gefängnis auszubrechen. Wer weiß, was aus ihm geworden ist … Carl liebt mich, das steht fest.«
    »Und dennoch …«, sagte Maigret grübelnd.
    Aggressiv fuhr sie fort:
    »Ich möchte Sie einmal in einer solchen Lage sehen! Diese Einsamkeit die ganze Zeit! Nichts als Gespräche über die Güte, die Schönheit, die Errettung einer Seele, über die Hingabe an Gott, über das Schicksal der Menschheit. Und Lektionen in feinem Benehmen. Wenn er wegging, schloß er mich ein, angeblich um mich vor der Versuchung zu bewahren. In Wirklichkeit war er sehr eifersüchtig. Und dementsprechend leide n schaftlich!«
    »Da soll noch einer behaupten, ich hätte keinen Scharfblick!« meinte Monsieur Oscar.
    »Was haben Sie getan?« fragte ihn Maigret.
    »Ich habe sie aufs Korn genommen! Es war kinderleicht! Ich habe gleich gemerkt, daß ihr ganzes Getue gespielt war. Eine Zeitlang habe ich mich sogar gefragt, ob der Däne nicht auch ein Ganove ist. Aber ich habe mich dann nur vor ihm in acht genommen und mich lieber um das Mädchen gekümmert … Reg dich nicht auf, Schätzchen! Du weißt, ich bin letztlich immer wieder zu dir zurückgekommen. Das alles waren geschäftl i che Dinge … Ich bin um das Haus herumgestrichen, wenn das Einauge nicht da war. Eines Tages haben wir uns durchs Fenster unterhalten, denn die Mamsell war eingesperrt. Sie hat gleich gesehen, woran sie mit mir war. Ich habe ihr ein Stück Wachs zugeworfen, damit sie einen Abdruck von ihrem Türschloß machen konnte. Im Monat darauf haben wir uns im hintersten Winkel des Parks getroffen und über Geschäfte geredet. Wir h a ben uns gleich verstanden. Sie hatte ihren Adligen satt. Sie sehnte sich nach ihrem Milieu , sozusagen …«
    »Und von da an«, sagte Maigret langsam, »sind Sie, Else, dazu übergegangen, Carl Andersen jeden Abend Veronal in die Suppe zu geben.«
    »Ja.«
    »Und Sie haben sich mit Oscar getroffen?«
    Die Frau des Werkstattbesitzers unterdrückte ein Schluchzen. Ihre Augen waren gerötet.
    »Die haben mich belogen, Kommissar! Am Anfang behauptete mein Mann, es sei reine Kameradschaft und eine gute Tat, ihr aus ihrem Loch herauszuhelfen. Er nahm uns abends beide mit nach Paris. Wir feierten mit Freunden. Ich hatte von allem keine Ahnung, bis ich sie eines Tages erwischte.«
    »Na und? Ein Mann ist schließlich kein Mönch! Sie welkte dahin, die Arme.«
    Else schwieg. Sie sah betrübt vor sich hin, schien sich nicht wohl in ihrer Haut zu fühlen.
    Lucas kam plötzlich herunter.
    »Ist Brennspiritus im Haus?«
    »Wofür?«
    »Um die Instrumente zu desinfizieren.«
    Else eilte in die Küche, klirrte mit Flaschen.
    »Hier!« sagte sie. »Werden sie ihn retten?
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