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Maigret und Pietr der Lette

Maigret und Pietr der Lette

Titel: Maigret und Pietr der Lette
Autoren: Georges Simenon
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zuviel für ihn war. Seine Stimme brach ab. Er hatte richtige Tränen in den Augen, die jedoch gleich wieder wegtrockneten, als seien seine Lider zu heiß.
    »Noch heute morgen glaubte sie, mit einem echten Hochseekapitän verheiratet zu sein …
    Hin und wieder verbrachte er zwei Tage oder einen Monat bei ihr und den Kindern …
    Ich konnte mich während dieser Zeit nicht von der anderen lösen, von Anna …
    Schwer zu sagen, warum sie mich liebte … Aber sie liebte mich, da besteht kein Zweifel …
    Und ich behandelte sie so, wie ich mein Leben lang von meinem Bruder behandelt worden war … Ich beleidigte sie … Ich setzte sie ständig herab …
    Wenn ich mich betrank, weinte sie … Und ich trank absichtlich! …
    Ich habe sogar zu Opium und manchem anderen Dreck gegriffen … Mit Absicht! …
    Dann wurde ich krank, und wochenlang pflegte sie mich. Denn am Ende macht einen das kaputt …«
    Angewidert zeigte er seinen Körper. Gleichzeitig bat er: »Können Sie nicht noch etwas zu trinken raufbringen lassen?«
    Maigret zögerte einen Augenblick, dann rief er von der Treppe aus:
    »Rum!«
    Der Lette bedankte sich nicht.
    »Ab und zu ergriff ich die Flucht, fuhr nach Fécamp und strich um die Villa, in der Berthe wohnte … Ich sah sie wieder … Sie schob den Kinderwagen mit ihrem ersten Baby …
    Wegen unserer Ähnlichkeit hat ihr Pietr wohl sagen müssen, daß ich sein Bruder war …
    Einmal hatte ich eine neue Idee … Schon als wir noch Kinder waren, hatte ich mir in den Kopf gesetzt, Pietr nachzuahmen, weil ich ihn bewunderte …
    Kurz, ich war so von diesen verwirrenden Gedanken beherrscht, daß ich mich eines Tages wie er gekleidet habe und da hingefahren bin …
    Das Dienstmädchen hat nichts gemerkt … Als ich jedoch die Wohnung betrat, kam das Kind und rief:
    ›Papa!‹
    Ich bin einfach ein Dummkopf! Ich hab mich davongemacht! Trotzdem ist mir das nicht aus dem Kopf gegangen …
    Von Zeit zu Zeit traf sich Pietr mit mir … Er brauchte Fälschungen …
    Ich machte sie ihm. Warum?
    Ich haßte ihn, und dennoch erlag ich seiner Autorität …
    Er verschob Millionen, verkehrte in Palästen, in Salons …
    Zweimal ist er festgenommen worden, und beide Male konnte er sich aus der Affäre ziehen …
    Ich habe mich niemals mit seiner Organisation beschäftigt, aber Sie müssen wie ich ahnen, worum es geht. Solange er allein war oder nur mit einer Handvoll Komplizen zusammen, hat er sich nur an Geschäfte mittleren Kalibers herangewagt … Aber Mortimer, den ich erst kürzlich kennengelernt habe, fiel er auf … Mein Bruder hatte die nötige Geschicklichkeit, Dreistigkeit, ja man kann sagen Begabung. Der andere besaß den Kredit und den guten Ruf in der ganzen Welt …
    Pietrs Aufgabe war es, die großen Halunken unter seiner Autorität zusammenzubringen und die Anschläge zu organisieren. Mortimer war der Bankier des Unternehmens …
    All das war mir gleichgültig … Wie mein Bruder mir schon in Dorpat gesagt hatte, als ich noch studierte, war ich ein Versager … Und wie alle Versager trank ich und schwankte zwischen Phasen der Niedergeschlagenheit und des Überschwangs …
    Nur einen Rettungsanker gab es in dem ganzen Treiben, und ich frage mich immer noch, warum, aber es war sicher das einzige Mal, daß ich ein mögliches Glück vor mir sah: Berthe …
    Unglücklicherweise bin ich letzten Monat dort gewesen … Berthe hat mir Ratschläge erteilt … Und sie hat hinzugefügt: ›Warum nicht dem Beispiel Ihres Bruders nacheifern? …‹
    Dabei fiel mir plötzlich etwas ein. Ich habe nicht begriffen, warum ich nicht eher daran gedacht hatte …
    Ich konnte Pietr sein, sobald es mir beliebte!
    Wenige Tage später schrieb er mir, daß er nach Frankreich komme und mich brauche.
    Ich bin ihm nach Brüssel entgegengefahren. Vom Gegengleis aus bin ich in den Zug gestiegen und habe mich so lange hinter dem Gepäck versteckt, bis er aufstand, um sich in den Waschraum zu begeben. Ich war vor ihm dort.
    Ich habe ihn getötet! Ich hatte einen Liter belgischen Genever gekippt. Am schwierigsten war, ihn zu entkleiden und ihm meine Sachen überzuziehen …«
    Er trank mit großen Schlucken, mit einer Gier, die Maigret nicht für möglich gehalten hatte.
    »Hat Mortimer bei Ihrer ersten Begegnung im Majestic etwas geahnt?«
    »Ich glaube schon. Aber es war ein vager Verdacht. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich nur den einen Gedanken: Berthe wiederzusehen …
    Ich wollte ihr die Wahrheit gestehen … Ich hatte eigentlich
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