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Maigret und Pietr der Lette

Maigret und Pietr der Lette

Titel: Maigret und Pietr der Lette
Autoren: Georges Simenon
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Zuneigung.
    »Hören Sie! … Geben Sie mir einen Moment dieses Foto … Sie wissen schon …«
    Maigret zog Berthes Porträt aus der Brieftasche, die er bei sich behalten hatte. Das war der einzige Irrtum, der ihm in diesem ganzen Fall unterlief, nämlich zu glauben, daß es die junge Frau sei, die die Gedanken von Hans im Augenblick beschäftigte.
    »Nein … Das andere … Das von den beiden Jungen mit dem bestickten Matrosenkragen! …«
    Der Lette betrachtete es wie verzückt. Der Kommissar sah es verkehrt herum, aber er gewahrte die Bewunderung des blonderen Jungen für seinen Bruder.
    »Sie haben mit meinen Kleidern meinen Revolver mitgenommen!« sagte Hans plötzlich unbeteiligt, emotionslos und schaute sich um. Maigret wurde dunkelrot. Er deutete linkisch auf das Bett, wo seiner lag.
    Daraufhin ließ der Lette den Kamin los. Er schwankte nicht mehr. Er mußte seine ganze Energie zusammenreißen.
    Er ging knapp einen Meter am Kommissar vorbei. Beide hatten noch ihre Morgenmäntel an. Die Rumflasche hatten sie zusammen ausgetrunken.
    Die zwei Stühle standen sich noch rechts und links von dem Holzkohlengrill gegenüber.
    Ihre Blicke kreuzten sich. Maigret hatte nicht den Mut, sich abzuwenden. Er erwartete einen Aufschub.
    Aber Hans bewegte sich ganz gerade weiter und setzte sich auf den Rand des Bettes, dessen Matratze knarrte.
    Es war noch ein bißchen Rum in der zweiten Flasche. Der Kommissar griff danach. Der Flaschenhals stieß klirrend ans Glas. Er trank langsam. Oder tat er nur so, als trinke er? Er hielt den Atem an.
    Endlich ein Knall. Er leerte das Glas mit einem Zug.
     
    Das las sich in der Amtssprache so:
    Am … November 19. um zehn Uhr vormittags hat sich Hans Johannson, geboren in Pleskau, Rußland, estnische Staatsangehörigkeit, ohne Beruf, wohnhaft in Paris, Rue du Roi de Sicile, nachdem er sich des Mordes an seinem Bruder Pietr Johannson für schuldig bekannt hatte, der im Nordexpreß am … November desselben Jahres begangen worden war, kurz nach seiner Festnahme in Fécamp durch Kommissar Maigret vom Kriminaldezernat durch eine Kugel in den Mund das Leben genommen.
    Das Geschoß, Kaliber 6 mm, hat den Gaumen durchschlagen und sich im Gehirn festgesetzt. Der Tod trat auf der Stelle ein.
    Die Leiche ist zur weiteren Untersuchung ins Gerichtsmedizinische Institut überführt worden, das den Eingang bestätigt hat.

19
    Der Verletzte
     
    Die Krankenpfleger gingen erst fort, nachdem Frau Maigret sie mit einem Glas Schlehenlikör bewirtet hatte, den sie jedesmal, wenn sie ihren Sommerurlaub in ihrem elsässischen Heimatdorf verbrachte, selbst ansetzte.
    Als die Tür sich geschlossen hatte und die Schritte sich auf der Treppe entfernten, trat sie ins Schlafzimmer mit den rosengemusterten Tapeten an den Wänden.
    Maigret lag etwas abgespannt, mit leichten Ringen unter den Augen in dem großen Bett, über das eine rotseidene dicke Daunendecke gebreitet war.
    »Haben sie dir weh getan?« fragte sie und räumte das Zimmer wieder auf.
    »Nicht sehr …«
    »Kannst du was essen?«
    »Ein bißchen.«
    »Wenn man bedenkt, daß du von demselben Chirurgen operiert worden bist wie die Könige und Leute wie Clemenceau oder Courteline!«
    Sie öffnete das Fenster, um einen Vorleger auszuschütteln, auf dem ein Krankenpfleger Schmutzspuren hinterlassen hatte. Dann ging sie in die Küche, schob einen Topf zur Seite, hob den Deckel hoch und legte ihn ein wenig schräg zurück.
    »Sag, Maigret …«, begann sie, als sie zurückkam.
    »Was?« fragte er.
    »Glaubst du an diese Geschichte vom Verbrechen aus Leidenschaft?«
    »Von wem redest du?«
    »Von der Jüdin, Anna Gorskin, die heute vormittag vors Schwurgericht kommt. Eine Frau aus der Rue du Roi de Sicile, die behauptet, daß sie Mortimer geliebt und aus Eifersucht getötet hat …«
    »Ach, das ist heute?«
    »Da stimmt doch was nicht.«
    »Unsinn! Das Leben ist so kompliziert, weißt du … Kannst du mir mein Kopfkissen zurechtrücken …«
    »Ob sie wohl freigesprochen wird?«
    »Da sind ganz andere freigesprochen worden!«
    »Das sag ich ja … War sie nicht in deinen Fall verwickelt?«
    »Am Rande …«, seufzte er.
    Frau Maigret zuckte mit den Schultern.
    »Es lohnt sich wirklich nicht, die Frau eines Kriminalkommissars zu sein!« Doch sie sagte das lächelnd.
    »Wenn irgend etwas geschieht«, fügte sie hinzu, »dann erfahre ich es von der Concierge … Sie hat einen Neffen, der Journalist ist! …« Maigret lächelte ebenfalls.
    Vor seiner Operation
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