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Maigret und Pietr der Lette

Maigret und Pietr der Lette

Titel: Maigret und Pietr der Lette
Autoren: Georges Simenon
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keine Gewissensbisse, und dennoch war ich nicht in der Lage, aus meinem Verbrechen den Nutzen zu ziehen … In Pietrs Koffer waren Kleidungsstücke aller Art … Ich zog mich an wie ein Landstreicher, das war ich ja gewöhnt. Ich habe das Hotel durch den Hinterausgang verlassen … Ich merkte, daß Mortimer mir folgte, zwei Stunden habe ich gebraucht, um ihn abzuschütteln …
    Dann habe ich ein Taxi genommen und mich nach Fécamp fahren lassen …
    Berthe hat bei meiner Ankunft nichts begriffen … Und ich hatte, als ich erst einmal vor ihr stand und sie mir Fragen stellte, einfach nicht den Mut, mich zu beschuldigen!
    Sie kamen unvermutet hinzu … Ich habe Sie durchs Fenster gesehen … Ich habe Berthe erzählt, daß ich wegen Diebstahls verfolgt werde, und sie gebeten, mich zu retten.
    Als Sie weg waren, hat sie zu mir gesagt:
    ›Gehen Sie jetzt! Sie entehren das Haus Ihres Bruders …‹ Tatsächlich, das hat sie gesagt! Und ich habe mich davongemacht! Und dann sind wir nach Paris zurückgekehrt, Sie und ich …
    Ich bin zu Anna gegangen … Natürlich gab es eine Szene! … Tränen! … Um Mitternacht kam Mortimer, der jetzt alles durchschaut hatte und mich umzubringen drohte, wenn ich nicht endgültig Pietrs Platz einnähme …
    Für ihn war das eine entscheidende Frage … Pietr war sein einziger Verbindungsmann zu den Banden … Ohne ihn hatte er keine Macht über sie …
    Wieder das Majestic … Und Sie hinter mir her! … Ich hörte von einem toten Inspektor reden … Ich sah, daß Sie unter der Jacke ganz steif waren …
    Sie können sich gar nicht vorstellen, wie satt ich das Leben hatte! …
    Bei dem Gedanken, dazu verurteilt zu sein, ewig die Rolle meines Bruders zu spielen …
    Erinnern Sie sich an die kleine Bar? Und an das Foto, das Sie fallenließen? …
    Seit Mortimers Besuch im Roi de Sicile hatte Anna protestiert … Sie fühlte sich durch diese Veränderung zurückgesetzt … Sie begriff, daß meine neue Aufgabe mich von ihr entfernte …
    In meinem Zimmer im Majestic habe ich am Abend eine Tasche und einen Brief vorgefunden …«
    »Einen grauen Konfektionsanzug und ein paar Zeilen von Anna, daß sie Mortimer töten würde und Sie irgendwo treffen wolle …«
    Dicke Rauchschwaden hingen im Zimmer, das nun etwas wärmer war. Die Umrisse der Gegenstände verschwammen allmählich.
    »Sie sind gestern hergekommen, um Berthe zu töten …«, sagte Maigret.
    Sein Gesprächspartner trank. Er leerte sein Glas, bevor er antwortete, und hielt sich am Kamin fest.
    »Um mit der ganzen Welt Schluß zu machen! Und mit mir! … Ich hatte die Nase voll, von allem! … Und ich hatte nur noch einen Gedanken im Kopf, den mein Bruder als typisch russisch bezeichnet hätte … Mit Berthe zu sterben, einer in den Armen des anderen …«
    Er unterbrach sich und fuhr mit veränderter Stimme fort: »Es ist idiotisch! Man braucht einen Liter Alkohol, um auf solche Ideen zu kommen … Vor der Tür stand ein Polizist … Ich wurde wieder nüchtern … Ich streifte umher … Heute morgen habe ich dem Dienstmädchen ein Briefchen mitgegeben, in dem ich meine Schwägerin um ein Treffen auf der Mole bat und hinzufügte, wenn sie nicht selber käme und mir etwas Geld brächte, würde ich gefaßt werden …
    Gemein, nicht wahr? …
    Sie ist gekommen …«
    Mit beiden Ellbogen auf den Marmorsims des Kamins gestützt, brach er plötzlich in Schluchzen aus, nicht wie ein Mann, sondern wie ein Kind. Immer wieder von Schluckauf unterbrochen, erzählte er weiter:
    »Ich habe es nicht übers Herz gebracht! … Wir standen im Dunkeln … Das Meer rauschte … Auf ihrem Gesicht wachsende Unruhe … Ich habe alles gesagt … Alles! … Auch von dem Verbrechen habe ich gesprochen … Ja, vom Kleiderwechsel in dem engen Waschraum … Als sie dann wie eine Verrückte aussah, habe ich geschworen, daß alles nicht wahr sei … Warten Sie! … Nicht der Mord! … Aber daß Pietr ein Lump sei … Ich habe ihr ins Gesicht geschrien, daß ich das alles erfunden hätte, um mich zu rächen … Sie mußte es glauben … So etwas glaubt man immer … Sie hat die Handtasche, in der das Geld war, auf die Erde fallen lassen. Und sie hat zu mir gesagt … Nein! … Sie hat nichts mehr sagen können …«
    Er hob den Kopf, wandte Maigret sein verkrampftes Gesicht zu, versuchte zu gehen, schwankte jedoch und mußte sich am Kamin festhalten.
    »Reichen Sie mir die Flasche, Mann! …«
    Und in diesem ›Mann‹ lag eine kameradschaftliche
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