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Maigret und Monsieur Charles

Maigret und Monsieur Charles

Titel: Maigret und Monsieur Charles
Autoren: Georges Simenon
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ihr eine stärkere Spritze gebe.«
    »Ich komme sofort... Danke für Ihren Anruf...«
    Seine Frau reichte ihm schon das Jackett, nahm seinen Mantel vom Haken.
    »Es wird vermutlich länger dauern, nicht wahr?«
    »Ruf mir ein Taxi...«
    Während sie telefonierte, stopfte er eine Pfeife und goss sich ein Gläschen Pflaumenschnaps ein. Madame Maigret konnte seine Betroffenheit nicht entgehen. Er hatte zwar keine genauen Informationen über das, was vorgefallen war, aber er gab sich doch irgendwie die Schuld daran.
    »Das Taxi wird gleich hier sein...«
    Er umarmte seine Frau. Sie begleitete ihn bis zur Tür und öffnete sie ihm. Über das Geländer gebeugt, blickte sie ihm nach, wie er die Handbewegung.
    Zwei Minuten später hielt ein Taxi vor dem Haus. Er wollte gerade die Adresse nennen, zu der er gefahren werden wollte, als der Chauffeur schelmisch fragte:
    »Quai des Orfèvres?«
    »Nein, diesmal nicht. Boulevard Saint-Germain, Hausnummer 207 A...«
    Auf einer Leuchtuhr sah er, dass es zwanzig nach zehn war. Ohne es zu merken, hatte er also fast zwei Stunden geschlafen!
    Als das Taxi bezahlt war, klingelte er an der Einfahrt, und der ehemalige Polizist machte ihm auf.
    »Ich weiß nicht, was passiert ist, aber der Doktor ist oben.«
    »Er hat mich gerade angerufen.«
    Maigret stieg, immer zwei Stufen auf einmal nehmend, die Treppe hinauf, und Claire Marelle öffnete ihm die Tür.
    Doktor Bloy erwartete ihn im kleinen Büro von Gerard Sabin-Levesque.
    »Liegt sie im Bett?«
    »Ja.«
    »Ist ihr Zustand besorgniserregend?«
    »Nein. Zum Glück hat die Zofe früher einmal bei einem Arzt gearbeitet und ihr sofort den Arm oberhalb des Handgelenks abgebunden, noch bevor sie mich angerufen hat...«
    »Ich dachte, die Spritze würde sie bis morgen früh betäuben, wenn nicht noch länger...«
    »Das hätte auch geschehen müssen. Ich verstehe nicht, wie sie aufwachen, aufstehen und in der Wohnung umhergehen konnte... Die Zofe hat im Boudoir ein Notbett aufgeschlagen, um sie nicht allein zu lassen. Sie schreckte plötzlich hoch und sah ihre Herrin wie ein Gespenst - das sind ihre eigenen Worte - oder wie eine Schlafwandlerin Vorbeigehen... Sie durchquerte den großen Salon und das Esszimmer... Dann ging sie in die Wohnung ihres Mannes hinüber...
    >Was tun Sie da, Madame? Sie müssen sich unbedingt wieder hinlegen... Sie wissen doch, was der Doktor gesagt hat...<
    Ihr Mund war zu einem Lächeln verzogen, das eher einem Grinsen glich.
    >Du bist ein gutes Mädchen, Claire ...<
    Sie dürfen nicht außer Acht lassen, fügte der Arzt hinzu, dass in diesem Augenblick, außer im Boudoir, die Lampen nicht angeschaltet waren. Die Szene muss erschreckend gewirkt haben, doch das junge Mädchen hat sich nicht irre machen lassen.
    >Geben Sie mir etwas zu trinken...<
    >Das sollte ich, glaube ich, nicht tun...<
    >Dann hole ich mir eben selbst die Flasche...<
    Claire zog es vor, ihr einzuschenken. Sie hat ihre Herrin wieder zu Bett gebracht und mich dann angerufen. Ich spielte gerade mit Freunden eine Partie Bridge. Ich bin sofort herbeigeeilt. Die Wunde ist tief, ich musste drei Klammern setzen... Sie hat nichts gesagt. Sie hat mich angestarrt, mit ausdruckslosem oder allenfalls gleichgültigem Gesicht.«
    »Weiß sie, dass Sie mich angerufen haben?« fragte Maigret.
    »Nein. Ich habe von diesem Büro aus telefoniert. Ich dachte, Sie würden vielleicht gerne mit ihr sprechen, bevor ich sie in Tiefschlaf versetze. Diese Frau hat eine enorme Widerstandskraft.«
    »Ich gehe jetzt zu ihr.«
    Maigret durchquerte wieder die Wohnung, trat ins Boudoir, wo in dem Feldbett noch die Kuhle zu sehen war, die Claires Körper hinterlassen hatte.
    »Sehen Sie, was Sie angestellt haben?« sagte Claire ohne Zorn, aber mit trauriger Stimme.
    »Wie geht es ihr?«
    »Sie liegt reglos da, starrt die Decke an und gibt keine Antwort, wenn ich mit ihr spreche. Ich bitte Sie nur, menschlich zu ihr zu sein...«
    Maigret kam sich unbeholfen vor, als er ins Schlafzimmer trat. Nathalie war bis zum Kinn zugedeckt, und ihr verbundener Arm war auf dem Laken ausgestreckt.
    »Dachte ich mir’s doch, dass man Sie rufen würde...«
    Ihre Stimme klang matt.
    »Ich wollte wirklich sterben... Es ist die einzige Lösung, nicht wahr?«
    »Aus welchem Grund?«
    »Eben weil ich keinen Grund mehr zum Leben habe.«
    Der Satz verblüffte den Kommissar, denn er schien der Wirklichkeit nicht zu entsprechen. Es hatte keine Liebe, ja nicht einmal den Anschein von Freundschaft zwischen ihr
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